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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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aufzuwecken und überlegte gerade, ob er es auf die herkömmliche Weise oder mit kaltem Wasser tun sollte, da vernahm er ein Geräusch. Bald konnte er auch den Menschen erkennen, der über Deck wanderte. Ein Dieb? Nein, es war Edward, wie er erstaunt feststellte. Edward hatte ihn auch schon gesehen.
    "William!" , rief er ihn leise an und trat zu dem Jungen. "Was tust du hier noch so spät? Solltest du nicht schlafen?"
    "Ich konnte nicht. Da wollte ich ein bisschen an die Luft. Erzählst du mir noch eine Abenteuergeschichte?"
    "Heute nicht, kleiner Bruder. Nein, auch nicht morgen, vielleicht nie mehr. Ich werde weggehen."
    William begriff nicht.
    "Wohin denn so spät in der Nacht? Mutter will nicht, dass wir so spät noch weggehen."
    "Will, ich werde die Fate für immer verlassen."
    William musterte fassungslos das große Bündel, das Edward bei sich trug.
    "Jetzt? Das geht doch nicht! Legst du mich nicht wieder rein?"
    "Es ist mein voller Ernst."
    "Aber warum?" , schrie William.
    "Psst ", beruhigte Edward ihn. "Ich versuche, es dir zu erklären. Aber du musst mir versprechen, Mutter nie ein Wort davon zu sagen. Sie würde sich nur Vorwürfe machen."
    "Du willst ihr gar nichts sagen? Sie soll morgen aufwachen und du bist weg?"
    "Ja, denn es ist die einzige Möglichkeit. Kennst du den Unterschied zwischen der Liebe zu einer Mutter und der zu einer Frau?"
    William nickte, obwohl er es nicht wusste.
    "Und wenn ich dir sage, dass ich beides für Mutter fühle? Verstehst du, ich nenne sie Mutter und... du verstehst das nicht, nicht wahr?"
    William nickte wieder kläglich. Was konnte schrecklicher sein, als dass sein Bruder sie verließ? Edward fuhr inzwischen fort.
    "Auch wenn du es nicht verstehst - und bete, dass du es niemals kennen lernen musst - so muss ich doch gehen, um eine Tragödie zu verhindern. Wenn ich noch länger bleibe, werde ich irgendwann alles zerstören."
    "Magst du uns denn nicht mehr?"
    William war nahe daran, in Tränen auszubrechen. Edward legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    "Natürlich mag ich euch, mehr als alles andere auf der Welt sogar. Gerade deswegen muss ich ja weg. Vielleicht wirst du es ja eines Tages verstehen. Sei mir nicht böse, ja?"
    William blickte vorwurfsvoll aus übermüdeten Augen zu ihm auf.
    "Ich will nicht, dass du gehst. Nichts kann so schlimm sein, dass du uns verlässt. Ich will das nicht!"
    "Ich kann nicht. Mach es nicht noch schwerer, Will. Komm, lass mich Mutter noch einmal sehen. Aber sei leise, wenn du mitwillst. Wenn sie aufwacht, wird sie mich fesseln, damit ich bleibe."
    Diese Idee gefiel William und er überlegte, ob er laut sein sollte. Ramis konnte Edward sicher aufhalten. Dennoch spürte er auch das Vertrauen, das Edward in ihn setzte und er wollte seinen Bruder nicht enttäuschen. Vielleicht war es wirklich so wichtig, selbst wenn er es nicht verstand.
    "Ich bleibe oben ", sagte er mit brüchiger Stimme.
    Edward grinste ihn kurz an, aber es war ein falsches Grinsen, aufgesetzt, um ihn aufzumuntern.
    Edward stieg zu Ramis Kajüte hinunter. Es tat verdammt weh, diese Menschen zu verlassen, mehr als er zu ertragen können glaubte. Und noch mehr schmerzte die Trauer, die man um ihn empfinden würde. Er wollte nicht wissen, wie Ramis reagieren würde, wenn sie sah, dass er weg war, dass er das unzerstörbare Band, das sie zusammenhielt, brutal zerrissen hatte. Aber er durfte sie und sich nicht diesem Wahnsinn überlassen, der in ihm tobte. Er blickte lange auf sie herunter und versuchte nicht daran zu denken, dass es ein Abschied für immer war. Unvorstellbar. All die Erinnerungen, die sie verbanden, kamen ihm in den Sinn. Dazu brauchte er nur die Kajüte anschauen, in der er so lange gelebt hatte, bis er es nicht mehr ertrug, neben ihr zu schlafen. Nun drohte das viel zu enge Band, das ihr gemeinsames Leid geknüpft hatte, sie beide zu erwürgen. Früher hatte er ständig das Bedürfnis gehabt, sie zu berühren, um zu spüren, dass sie für ihn da war. Mit der Zeit war etwas Unheiliges daraus erwachsen. Jetzt, im Nachhinein sah er, dass es so hatte kommen müssen. Als sie sich das erste Mal begegneten, waren sie zwei Kinder gewesen, allein und haltlos. Den Trost, den sie einander spendeten, war voller verzweifeltem Klammern gewesen. Sie kannten einander. Tja, jetzt musste er sie verlassen und sie vor den zerstörerischen Begierden in ihm schützen, die sie nie hatte sehen wollen. Es würde sie noch mehr schmerzen, zu erfahren, was mit ihm los war. Er wandte sich

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