Dunkle Häfen - Band 2
Oktober 171 4, Versailles
Noch immer entziehen sich mir die ungeschriebenen Gesetze des höfischen Zeremoniells. Die genaue Rangfolge der verschiedenen Verwandten des Königs ist ein Buch mit sieben Siegeln und Gnade dem, der unbedarft die weiter entfernt verwandte Herzogin vor der Schwägerin des Königs anspricht. Und wie verhält man sich gegenüber den unehelichen, aber legitimierten Kindern des Königs oder wie gegenüber dem Thronfolger? Wer ist persona non grata und darf deshalb nicht beachtet werden? Ich werde es nie lernen, manchmal merke ich es nicht einmal, wenn ich einen Fauxpas begangen habe. Zum Glück bin ich hier zu unbedeutend, als dass man meinen Fehlern allzu viel Beachtung geschenkt hätte. Ach, die Engländerin, denken die Leute höchstens.
Wenn der König morgens aufsteht, so ist das ein Staatsakt. Adélaide berichtete mir davon, denn anwesend sein darf nur ein kleiner erlesener Kreis, bestehend aus den wichtigsten Familienmitgliedern oder hohen Würdenträgern. Weder sie noch ich gehören diesem an. Dem König den Nachttopf oder das Hemd reichen zu dürfen, ist eine Auszeichnung und Symbol für die Bedeutung des Jeweiligen. Na ja, dazu will ich nichts weiter sagen. Schrecklich, wenn sich schon beim Aufstehen Dutzende Menschen um einen herum drängen. Die Vorstellung, als Piratenkapitän einem derartigen Zirkus ausgesetzt zu sein, sorgt bei mir für immerwährende Erheiterung. Man stelle sich vor, einer der schmuddeligen Piraten käme mit dem Nachttopf heran geschlurft, während der andere mir fürsorglich in Wams und Hose helfen würde. Ein weiterer wartete brav mit meinem Hut, bis ich fertig wäre. Ein sehr merkwürdiges Bild, das mich aber gleichzeitig traurig macht, weil es mich an das auf immer Verlorene denken lässt.
27. Oktober 1714, Versailles
Man hat mir eine Sache nahegelegt, die ich zwangsläufig vollständig ablehnen muss. Es fing alles damit an, dass Madame de Maintenon meine finanziellen Schwierigkeiten beim König zur Sprache gebracht hatte. Tatsächlich störte ich mich sehr an dem Abhängigkeitsverhältnis, das mich an den Marquis band und konnte mir nicht vorstellen, d ass er mich noch länger aushalten wollte. Diesen Morgen jedenfalls wurden der Marquis und ich zum König gerufen. König Louis war bereits bei der Arbeit an seinem Schreibtisch. Daneben stand seine Frau, Madame de Maintenon. Der König kam gleich zur Sache, hatte er doch wenig Zeit. Nach den Verbeugungen und Begrüßungen wandte er sich an den Marquis, wobei die Maintenon freundlich für mich übersetzte.
"Es ist Uns bewusst, dass Ihr bis jetzt die Unterhaltskosten für Ma dame Anne übernommen habt und im Namen der Nächstenliebe ist Euch sehr zu danken. Aber auf Dauer übersteigt das sicher Euer Einkommen, vor allem, wenn sich ihre Verwandten, die sie erwähnt hat, nicht bald finden."
Der Marquis runzelte leicht die Stirn, als man auf sein Einkommen zu sprechen kam, wie die meisten wollte er den Anschein von unerschöpflichem Reichtum erwecken.
Der König fuhr nun fort: "Deshalb halten Wir es für das Beste, wenn die Dame mehr Sicherheiten erhält. Madame de Maintenon erklärt sich bereit, nach einem geeigneten Ehemann für die Dame Ausschau zu halten, damit sie endlich wieder standesgemäß leben kann."
Ich war wie vom Schlag getroffen. Heiraten? Ich?
"Das ist unmöglich!" , entfuhr es mir.
Alle starrten mich an, weil ich so unverschämt herausgeplatzt war, der Marquis sichtlich entsetzt. Wie konnte ich nur die höchst seltene Gunst zurückweisen, dass der König sich höchstpersönlich um meine Belange kümmerte? Es glich einem Sakrileg, dass ich unaufgefordert sprach und auch noch widersprach. Überraschenderweise ging aber niemand mehr darauf ein. Lächelte der König vielleicht sogar etwas spöttisch?
"Überlegt es Euch ", meinte Madame de Maintenon. "Es wäre der Ausweg aus allen Euren Problemen."
Ja, das schon, aber so bequem diese Lösung auch ist, es geht einfach nicht. Niemals könnte oder wollte ich heiraten, niemals.
Abends
Ich unterhielt mich mit Adélaide über die Sache. Sie schien es gar nicht schlimm zu finden, aus Geldnot zu heiraten.
"Schaut mal, Ihr bekommt eine Chance wie kaum eine vor Euch. Wer kann schon hoffen, dass ein König oder eine Maintenon einem den Mann aussucht. Was für ein Glück!"
Versteht mich denn keiner? Auch Adélaide, die inzwischen eine Freundin geworden ist, hat für meine Ablehnung kein Verständnis. Tatsächlich sind wir grundverschieden und
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