Dunkle Häfen - Band 2
regnen. Ihre Kinder beugten sich zu ihr, schweigend. Charlotte hatte sich ins Gras gesetzt und ergriff ihre Hand.
"Ihr seid ganz kalt..."
Ramis dachte an den Tag, als James gestorben war, wie sie den ganzen Tag an seinem Bett gesessen hatte und erst lange nach seinem Tod wieder aufgestanden war. Vielleicht war er in diesem Moment hier, bei ihr. Sie glaubte, ihren toten, ewig jungen Edward über sich zu sehen, der sich zu ihr beugte, um sie zu sich zu holen. Dann spürte sie nichts mehr, nur eine gedankenlose Geborgenheit. Und sie sah die Gesichter ihrer Eltern, endlich. Nur noch einmal hörte sie ihn, den Klang des Schicksals, auf den sie nie geachtet hatte, der aber in allem tönte, in den Steinen, im Wind, in den Stimmen... Sie kehrte heim.
Eine Woche nach dem Begräbnis räumte Charlotte Ramis Sachen zusammen. Man hatte sie mit ihrem Kasten, in dem sich ihre liebsten Erinnerungsstücke befanden, begraben, den Ring um den Finger und das Amulett um den Hals. Charlotte hatte nie verstanden, was ihre Mutter mit dem Fluch gemeint hatte, der angeblich auf dem Ring lag und den sie überwunden hatte. Es hatte Ramis geradezu hämische Freude bereitet, dass er mit ihr unter die Erde kam. Nein, das verstand die Tochter nicht. Ramis ruhte auf eigenen Wunsch neben ihrem Mann im Familiengrab, nicht etwa in Irland. Dort habe sie alles abgeschlossen, hatte sie in ihrem Testament erklärt. Nun gab es eine Menge persönlicher Dinge aufzuräumen, die Ramis über die Jahre hinweg angesammelt hatte. Sie war eine Sammlerin gewesen, hatte kaum etwas wegwerfen können, fast alles hatte für sie einen Wert gehabt. Und während sie Stöße von Papier und Briefen in eine Kiste lud, fiel Charlotte ein kleiner Zettel vor die Füße. Er war sehr vergilbt, viel älter als die anderen. Und er stammte von einer Frau, die sie nicht kannte und war auch nicht an Ramis gerichtet, deshalb fing Charlotte damit nichts an und sie warf ihn weg.
Liebe Maureen,
Ich kann mein Glück kaum fassen. Ich habe mich wirklich verliebt! Erst jetzt verstehe ich, wovon du gesprochen hast. Aber bisher glaubte ich nicht, je einen Mann zu finden, der mich selbst liebt und nicht mein Geld und die Macht meines Vaters. Aber Edward liebt mich und nur mich, das spüre ich. Er meint es ehrlich, obwohl ich es nicht verstehe. Ich habe ihn auf einem Ball kennen gelernt und er hat den ganzen Abend mit mir getanzt. Er ist vom Land, aber soo charmant und so gutaussehend. Jetzt wollen wir heiraten und ich bin die glücklichste Frau der Welt! Ich bin so fröhlich wie nie. Komm doch und dann können wir kichern und flüstern, wie früher im Pensionat, aber dieses Mal über unsere Männer. Dort oben in Schottland muss es jetzt ziemlich kalt sein. Willst du nicht den Winter bei mir verbringen? Ich muss meine Freude mit jemandem teilen. Ach ja, bist du jetzt endlich schwanger? Vielleicht können unsere zukünftigen Kinder ja Freunde sein...
Herzliche Grüße
Deine dich liebende Freundin Harriet
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