Dunkle Häfen - Band 2
Frauen genoss dieser seinen alten Glanz. Offensichtlich betrachteten sie seinen Sturz sogar als Gelegenheit, sich ihm zu nähern, was vorher nicht so einfach gewesen war. Da kam zum Beispiel eine jungfräuliche Hofdame, um ihm ihre mädchenhafte Bewunderung auszusprechen und ein alter Freund seines Vaters riet ihm, nun endlich wieder zu heiraten und dann auf bessere Zeiten zu hoffen.
"Die edelsten Damen des Hofes verzehren sich nach Euch, seit kurzem sogar noch mehr, denn Ihr seid in ihren Augen ein tragischer Held. Ihr braucht einen Erben, das würde auch Euer Vater wünschen."
Lord Fayford lächelte unverbindlich und speiste den alten Narren mit einer nichtssagenden Antwort ab. Er wollte im Moment nicht heiraten. Aber vielleicht konnte seine Rückkehr in die Politik tatsächlich über Frauen stattfinden - die Ehefrauen der einflussreichen Männer.
Tagebuch
15.Oktober 1714, Versailles
Als ich das erste Mal den Spiegelsaal betrat, war ich voller Staunen. Noch nie hatte ich einen so glanzvollen Saal gesehen. Ich verstehe immer mehr, warum die ganze Welt von Versailles redet. Es gibt gleich mehrere Türen, durch die man hereinkommen kann. Die der Fensterseite gegenüberliegende Wand ist anstatt der Fenster mit ebenso großen Spiegeln besetzt, die den Saal noch imposanter wirken lassen. Die marmornen Wände sind mit unvergleichlicher Sorgfalt gemeißelt, so dass man einfach über diesen prächtigen Saal staunen muss, in dem das Gold so verschwenderisch verwendet wurde. Überall stehen Statuen und Büsten, goldene Kandelaber. Von der Decke hängen mehr als ein Dutzend verschnörkelte, gewaltige Kronleuchter. Über die Decke ziehen sich gewaltige Fresken, die von den Erfolgen des Königs erzählen. Alles glitzert und strahlt. Und wie war es erst, als dieser Saal mit Leuten gefüllt war! Es war mein erster Ball hier und ich kam aus dem Staunen nicht heraus. All diese prächtigen Kleider, tausendfach gespiegelt an der Wand... Meine Wangen glühten und ich fühlte mich wie in einem Schwebezustand durch all dieses Leuchten und Raunen... Ich drückte mich vor dem Tanzen, weil ich das so schlecht kann. Stattdessen beobachtete ich die anderen bei ihrem komplizierten Schauspiel. Der Spiegelsaal war wie eine Bühne, auf der seit Jahrzehnten dasselbe Stück gespielt wurde. Alle außer mir kannten die Regeln, die Menschen tanzten und lachten, doch ihre Gesichter waren starr und gelangweilt, wenn sie sich einen Moment abwandten.
Sie warten auf den Tod des Königs, der sie vom Leben abhält und sie in dieses höfische Korsett zwingt, enger als je zuvor. Mit eiserner Hand hält der König den Wandel auf, der überall in der Welt stattfindet. An jenem Abend erschien auch der König höchstpersönlich auf dem Ball, doch er verließ den Spiegelsaal bald wieder, unter all seiner Pracht sah er krank aus.
Es gibt aber auch noch andere Dinge, die ich kennen lernte, eines davon war die Langeweile. In meinem ganzen Leben hatte ich nie Langeweile gekannt, es gab immer etwas zu tun, entweder zu arbeiten oder zu grübeln. Nun habe ich nichts mehr zu arbeiten und auch für das Grübeln ist es fast zu viel Zeit. Die Langeweile ist ein Luxus, dessen ich bald überdrüssig wurde. Das, was ich jetzt als Zeitvertreib betrachte - spazieren gehen und Manieren lernen - wäre mir früher als unverzeihbare Zeitverschwendung erschienen. Aber im Palast gibt es wirklich nichts zu tun, außer auf die Abendveranstaltung zu warten und sich stundenlang schönmachen zu lassen. Und da man auf eben diesen sehnsüchtig erwarteten Abendveranstaltungen nur allzu deutlich spürt, dass alle gezwungenermaßen - der König will es so - gekommen sind, sind auch diese nicht sehr vergnüglich. Adélaide jammert mir oft vor, um wie vieles lieber sie in Paris wäre.
"Dort wird richtig gefeiert und man kann sich vergnügen, ohne dass eine rügende Maintenon danebensteht."
Das erklärt sie mir jedes Mal, wenn sie unzufrieden mit dem Leben hier ist. War es nicht einst ihr größter Wunsch gewesen, nach Versailles zu kommen? Dennoch beginne auch ich es allmählich zu spüren, die Stille über Versailles, die sich ständig vergrößernde Weltfremdheit. Die Welt um uns herum scheint sich immer schneller zu verändern, aber vor Versailles und König Louis macht sie halt. Ich komme aus dieser Welt, in der neue Ideen aufleben, darunter auch die, dass die Macht des Königs beschränkt wird, wie es in England verwirklicht wurde. Ich habe auf einem Piratenschiff gelebt, auf
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