Dunkle Häfen - Band 2
nicht, dass Adélaide sich über ein 'schmutziges Tier' in ihren Räumen gefreut hätte. Ich schickte jemand en nach Henriette, meiner Zofe. Nachdem sie entsetzt die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hatte, als sie mein Aussehen gewahrte, half sie mir beim Umziehen. Mit einem Nachmittagskleid, das mir Adélaide geschenkt hatte – es war ihr zu alt –, machte ich mich dann auf in den Park und suchte bei den Vogelvolieren nach jemandem, der Erfahrung mit Vögeln hatte. Als ich einen der Vogelpfleger fand, hatte ich unwahrscheinliches Glück, denn er liebte Vögel über alles und wollte meinen selbst in Pflege nehmen. Erleichtert holte ich ihn aus meinen Zimmer und überließ ihn dem Pfleger. Als ich fragte, ob ich dableiben könnte und zusehen, wie er sich um den Vogel kümmerte, schien er nichts dagegen zu haben. Und so saß ich den Rest des Abends dort und sah zu, wie zuerst der Vogel umsorgt wurde und der Mann im Anschluss das restliche bunte Federvieh fütterte. Der verletzte kleine Vogel zeigte sich sogar munterer als zuvor. Jetzt kann ich zufrieden schlafen gehen.
29.Oktober 1714, Versailles
Heute Morgen war der kleine Vogel tot. Es bewegt mich überraschend tief, der gestrige Abend hat in mir die Hoffnung geweckt, dass er es überleben würde. Nun fühle ich mich merkwürdig schuldig - hätte ich ihn doch früher entdeckt! Dabei war er todkrank, wie der Pfleger mir sagte. Trotzdem, der Vogel war in meine Obhut gegeben worden und ich konnte ihn nicht retten. Wieder einmal... Unglücklich frühstückte ich. Später traf ich auf dem Flur den Marquis. Er begrüßte mich betreten, entschuldigte sich aber nicht dafür, dass er mich so rüde behandelt hatte. Ich verlor schon wieder die Geduld. Natürlich fragte er nicht nach dem Vogel, vermutlich hatte er ihn schon vergessen.
"Der Vogel ist gestorben" , teilte ich finster mit.
Er zuckte lediglich bedauernd die Achseln, eine Geste, die mich zornig machte. Gab es denn in seiner Welt nur diese elende Magnon? Wenn das so war, dann konnte er unsere Freundschaft, soweit man das überhaupt so nennen konnte, gleich in den Wind schreiben. Wütend ließ ich diesen Nichtswürdigen stehen und verzog mich auf mein Zimmer. Um weiteren Ärgernissen zu entgehen und weil ich das Bedürfnis hatte, allein zu sein, blieb ich dort und brütete vor mich hin. Gegen Nachmittag fing es zu regnen an und ich beobachtete, wie die Tropfen an der Scheibe herunter rannen. Der graue Tag passte zu meiner Stimmung. Zu meinem Leidwesen kam allerdings bald Madame de Maintenon vorbei und teilte mir mit, dass der König mich sehen wollte. Ich hatte nicht die geringste Lust auf solch förmliche Anlässe, aber es schien wichtig zu sein, da die Maintenon persönlich gekommen war, anstatt jemanden zu schicken.
Sie begleitete mich zum König und als ich sie fragte, was denn los sei, antwortete sie:
"Er wünscht Euch zu sprechen, da ihm heute langweilig ist und Ihr seid eine amüsante Unterhalterin."
Ihre Worte machten mich nur noch ratloser. Welche Themen würden denn einen König interessieren, den schon unzählige Menschen zu unterhalten versucht hatten? Ich konnte mir auch nicht recht vorstellen, was ihn an meiner Person so beeindruckt hatte, zumal ich ihn erst zweimal gesprochen hatte, wobei man da nicht einmal von 'Sprechen' reden konnte. Aber nun gut, sagte ich mir zur Aufmunterung, was kümmert es dich, wenn du ihn langweilst? Ich bin eben, wie ich bin, mit meinen seltsamen Anwandlungen und dem 'bäuerlichen' Benehmen, an dem sich hier alle stoßen. Ich bin eine Möwe zwischen Pfauen, die ihre Federn spreizen, doch gerade diese Möwe hat gelernt, wie man überlebt, sie schlägt sich durchs Leben. Kaum einer erfreut sich an ihrem Anblick und ihrem Gekreische, aber sie gehört zum Rauschen des Meeres und dem Salzgeruch. Und weil ich diesem zänkischen Vogel ein wenig glich, stand ich schließlich vor der Tür von Madame de Maintenons Zimmer, in dem sich Louis gerne aufzuhalten pflegte, ohne mich umgezogen zu haben, in einem zwangslosen Tageskleid, das eher zu einer Bürgersfrau passen würde und an dem man sicher Anstoß nehmen würde.
"Es so ll keine formale Zeremonie sein", flüsterte mir Madame de Maintenon zu, als vor uns die Tür geöffnet wurde.
Tatsächlich lehnte der König in einem Sessel und ich staunte, wie hinfällig er in dieser Pose aussah. Ich fragte mich, weshalb er mich in diesem Zustand empfing. Vielleicht, weil er wusste, dass ich nicht klatschte und dass es nicht
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