Dunkle Häfen - Band 2
dem man die Idee der Gleichheit in Artikeln niedergeschrieben hat, selbst wenn sie kaum zu realisieren waren, wie ich zugeben muss.
Den Leuten am Hof bleibt als Vergnügen noch der Klatsch und den betreiben sie voller Hingabe. Ich verabscheue dieses Laster und sperre mich hartnäckig dagegen, ein Grund mehr, weshalb ich Außenseiterin bleibe. Trotzdem verloren die Menschen hier mit der Zeit ein wenig von ihrer Fremdheit und auch wenn ich mir geschworen habe, niemals wie sie zu werden, lernte ich einige von ihnen besser kennen.
Der Marquis hatte sich höchst reuevoll bei mir entschuldigt und angesichts seiner - vermutlich gespielten - Zerknirschtheit konnte ich ihm nicht böse sein. Er ist ja doch nur ein Opfer seiner Dummheit, die Comtesse de Magnon heißt. Ich kann diese Frau immer weniger ausstehen und sie lässt keine Gelegenheit aus, mir das Leben schwer zu machen. Sie alleine wäre schon ausreichend gewesen, um es einem zu vermiesen, aber da ist ja noch der Herzog von Orléans, der mir immer unangenehmer wird. Man munkelt über seine Ausschweifungen und Laster, flüstert über okkulte Praktiken und schwarze Magie, derer er anhänge. Gleichzeitig bekam ich den Eindruck eines durchaus fähigen und intelligenten Menschen, der vom misstrauischen König niedergehalten wurde. Musste gerade dieser Mensch mich beim Stehlen erwischen? Ansonsten habe ich jedoch wenig mit der Königsfamilie und ihren Intrigen zu tun.
Zu den Leuten, die ich jedoch öfters zu sehen bekam, gehörte bald Madame de Maintenon. Nicht, dass wir uns allzu oft treffen, aber im Gegensatz zu den anderen verachtet sie mich nicht, weil ich anders bin. In manchen Dingen sind wir uns sogar ähnlich, obwohl ich mir das bei einer Mätresse nie hätte träumen lassen. Aber Madame de Maintenon ist eine sehr kluge Frau, der viel am sittlichen Leben in Versailles liegt - eine Einstellung, die ich nur bewundern kann, selbst wenn viele sagen, seit sie so großen Einfluss auf den König hat, sei die Freude aus Versailles verschwunden. Man beschimpft sie als alte Hexe, die das Leben fade und frömmlerisch gemacht hat. Eine ihrer erbittertsten Gegnerinnen ist Liselotte von der Pfalz, die Schwägerin des Königs, die man hier Madame nennt, weil sie die Witwe des Bruders des Königs, Monsieur, ist. Diese Madame kann Madame de Maintenon nicht leiden und sträubt sich gegen die Reformen der Versailler Moral. In der Messe sieht man sie oft schlafen, egal, ob der König in der Nähe ist. Ich selbst habe wenig mit ihr zu tun, doch irgendwie mag ich diese resolute Frau, deren derber Witz so wenig hierher passt. Sie ist die Mutter dieses leidigen Herzogs von Orléans und wie mir scheint, findet sie einiges an ihm auszusetzen.
In Madame de Maintenon habe ich fast das Gefühl, eine Vertraute gefunden zu haben. Immer mehr wird mir klar, welche Macht diese Frau am Hof hat. Tatsächlich muss sich der Hof sehr gewandelt haben seit den Anfängen von Versailles. Man geht dem Vergnügen längst nicht mehr so offensichtlich nach wie einst, vieles findet jetzt hinter verschlossenen Türen statt, denn wer hier etwas gelten will, sollte es sich nicht mit Madame de Maintenon verscherzen. Sie hat kaum Grund, an mir Anstoß zu nehmen, bis auf meine Patzer bei der Etikette bin ich sehr sittsam und unterhalte mich gerne mit ihr über ernsthafte Themen. Vielleicht hat es ihr auch die verwaiste Seele angetan, die ich bin, denn man sagt ihr nach, viel für mittellose Menschen zu tun...
Ja, es tut gut, wieder schreiben zu können. Leider ist mein altes Tagebuch auf der Fate zurückgeblieben und ich muss fürchten, dass es jemand gefunden haben könnte. Wenn ich daran denke, dass es William in die Hände fallen könnte... es würde ihn nicht glücklich machen. Soll er noch unglücklicher werden? Er muss ohnehin ohne Mutter aufwachsen, muss er nun auch die schreckliche Wahrheit über sie erfahren? Ich weiß nicht, wann ich die Hoffnung, hier wegzukommen, eigentlich aufgegeben habe. Dennoch kann und will ich mich nicht endgültig damit abfinden. Vielleicht wird eines Tages eine Gelegenheit kommen... Ich werde immer noch überwacht, als wäre ich ein gefährlicher Staatsfeind. Ist das nicht verrückt? Als ich vor ein paar Tagen durch das Tor gehen wollte, einfach, weil ich mich draußen umsehen wollte, hielt man mich auf wie eine Gefangene. Ich muss mich vorsehen, dass niemand diese Aufzeichnungen findet, sie wären gewiss Hochverrat. Einstweilen werde ich sie immer bei mir tragen.
20.
Weitere Kostenlose Bücher