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Dunkle Häfen - Band 2

Dunkle Häfen - Band 2

Titel: Dunkle Häfen - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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und auch immer noch die wichtigste. Im Moment scheint das Leben dort rauschender als in Versailles. Versailles selbst ist nur ein Dorf, das Schloss allein ist von Bedeutung."
    Sie reisten entlang der Seine ins Landesinnere. Die vereinzelten Gehöfte und Dörfchen, die sie sahen, waren oft verfallen und ärmlich, die Gesichter der Menschen von Furchen gekennzeichnet. Der K rieg hatte ihnen auch noch das Wenige genommen, was sie übrig gehabt hatten. Immer höhere Steuern, die Waffen und Soldaten decken mussten, hatten mehr aus ihnen hinausgepresst, als sie verkraften konnten. Ramis konnte die Missgunst in ihren Augen lesen, als die prächtige Kutsche vorüberfuhr. Den Marquis schien das alles nicht weiter zu berühren und Ramis erkannte die typische Gleichgültigkeit der Adligen gegenüber den Bauern wieder. Zwischen ihnen klaffte eine riesige Kluft; weit mehr als nur das Geld trennte die oberste und die unterste Schicht: Es waren vielmehr völlig unterschiedliche Menschen, obwohl sie alle Franzosen waren. Ramis konnte es an der feindseligen Art, wie man den Marquis und auch sie selbst anstarrte, erkennen. Natürlich, sie waren es ja letztendlich, die die teuren Kleider und die Pracht erarbeiteten. Offensichtlich lebte man in Versailles wie in London in Saus und Braus, benötigte bald für jeden Tag ein neues Gewand, ohne wirklich dafür zu arbeiten. Wen kümmerte da schon die verlauste Hure auf der Straße, die an Syphilis starb und wen der alte Bauer mit dem Dreck im Gesicht, der tot auf den Acker liegt?
    Ramis wurde nun noch einmal ganz deutlich bewusst: Hätte der Marquis sie nicht für eine von den Seinen gehalten, er hätte sie wohl in Calais abgesetzt und stehen gelassen. Seine Hilfsbereitschaft kam mehr von dem heldenhaften Impuls, eine in Not geratene Dame zu retten als einer aus dem Volk zu helfen. Aber genau das war Ramis: Eine aus dem Volk, eine, die Existenzsorgen und Hunger kannte und das musste sie auf jeden Fall geheim halten. Doch wie? Sie hatte keine Ahnung, wie sich eine Dame benahm. Konnte man das lernen, wie sie es gelernt hatte, eine Piratin zu sein, zu fluchen und zu kämpfen? Konnte sie denn die Tatsache verbergen, dass sie bis auf in des Marquis' Kabine noch nie zwischen seidenen Laken geschlafen hatte? Hätte sie nur ein wenig Geld gehabt, dann hätte sie in die Karibik zurückkehren können. Aber wie die Fate wiederfinden? Piraten überlebten, indem sie sich versteckten und unauffindbar waren. Und was, wenn es die Fate gar nicht mehr gab? Oh nein, nur das nicht denken! Jetzt erst einmal ans Überleben denken. Bis sie wusste, woran sie eigentlich war, nützte es nichts, Pläne zu machen. Mit dem Pläne schmieden kannte sie sich ohnehin nicht aus, ihr Leben war viel zu unstet gewesen, um etwas zu planen. Der Marquis würde sie mit nach Versailles nehmen - ja und dann? Sie sollte sich darauf einrichten, wieder einmal ganz auf sich allein gestellt zu sein, auf den Marquis wollte sie sich lieber nicht allzu sehr verlassen. Ein flaues und sehr unangenehmes Gefühl lag ihr im Magen, sobald sie daran dachte, dass sie einmal mehr durch einen Ozean von allem, das ihr etwas bedeutete, getrennt war. Was sollte sie denn unter lauter Leuten, die sie als Feind betrachteten? Sie lehnte sich aus dem Fenster, um sich ein wenig frische Luft um die Nase wehen zu lassen, denn trotz der Wolken war es erdrückend heiß. Bei der Bewegung fühlte sie den Schweiß ihren Rücken hinabrinnen. Kein Wind außer dem zarten Fahrtwind brachte Kühlung. "Wann sind wir denn in Versailles?"
    "Bald, Madame..." , antwortete er mit einer großen Geste, "bald werdet Ihr Versailles sehen."
     
    Zwischen sanft gewellten Hügeln tauchte tatsächlich einige Zeit später ein riesiger Komplex auf, der in einer breiten Niederung lag. Ausgedehnte Gartenanlagen, die von hier aus tausend geometrische Muster aufwiesen, führten auf das Schloss selbst zu, das im Vergleich dazu nicht einmal sehr groß war, so riesig waren sie. Von der Form her glich es einem eckigen U, mehr konnte Ramis nicht sehen, da sie von der Seite der Gartenanlagen kamen.
    "Überwältigend, was?" , fragte der Marquis lächelnd. "Ihr werdet Euch bald daran gewöhnen."
    Ramis warf ihm einen erstaunten Blick zu.
    "Nun ja, Ihr werdet hier wohnen. Wo denn sonst, Madame?" , erklärte er auf ihre entgeisterte Miene hin.
    "Im Schloss ?"
    "Ach, gibt es bei Euch in England denn keine Gäste des Königs - Pardon, der Königin - die in einem ihrer Schlösser wohnen? Ihr seid mein

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