Dunkle Herzen
die Arbeit des heutigen Tages. Unsicher schob sie die Hände in die Taschen ihres langen grauen Rocks.
»Was meinst du?«
»Du bist einfach unglaublich.« Er fuhr mit der Hand über das polierte, leicht geschwungene Holz. »Alle deine Werke sind voneinander verschieden.« Sein Blick wanderte von den fertiggestellten Metallskulpturen zu dem Arm aus Ton. »Und doch besteht kein Zweifel daran, daß jedes Stück von dir geschaffen worden ist.«
»Ich glaube, ich muß mich bei dir dafür entschuldigen, daß ich dich heute morgen so angeschnauzt habe. Schließlich hast du, indem du eine meiner Arbeiten erworben hast, nur guten Geschmack bewiesen.«
»Ich hab’ mir schon gedacht, daß du dich an den Gedanken gewöhnst.« Müßig blätterte er ihr Skizzenbuch durch. »Ach, übrigens, ich habe dir dieses Stück Holz besorgt, diesen Auswuchs, auf den du so versessen warst.«
»Was hast du?«
»Du wolltest es doch unbedingt haben, oder nicht?«
»O doch, und wie. Ich hätte nur nicht gedacht, daß du dich daran erinnerst. Wie hast du denn das fertiggebracht?«
»Ich habe dem Bürgermeister davon erzählt, und der
fühlte sich so geschmeichelt, daß er dich noch bezahlt hätte, nur damit du dir diesen Holzknubbel absägst.«
Clare wickelte den tönernen Arm wieder in ein feuchtes Tuch. »Du bist ekelhaft nett zu mir, Rafferty.«
Cam legte das Skizzenbuch beiseite. »Allerdings.« Er drehte sich zu ihr um und musterte sie aufmerksam. »Dann wollen wir uns mal ins Getümmel stürzen, Slim. Ich hoffe nur, du bist beim Einkaufen nicht allzu wählerisch.«
»Normalerweise kaufe ich alles zusammen, was ich sehe.« Clare hob lachend eine Hand. »Außerdem freue ich mich schon auf den Champagner, den ich dir zum Essen spendieren werde.«
»Gibt es was zu feiern?«
»Ich hab’ heute gute Neuigkeiten bekommen. Ich erzähl’s dir beim Essen.« Gerade als sie in sein Auto steigen wollte, entdeckte sie Ernie auf der anderen Straßenseite und winkte ihm zu. »Hey, Ernie.«
Er beobachtete sie lediglich, ohne den Gruß zu erwidern. Mit einer Hand spielte er an dem Pentagramm, welches um seinen Hals hing.
ZWEITER TEIL
Der Herr aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her?
Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Ich habe die Erde
hin und her durchzogen.
– Das Buch Hiob –
Erstes Kapitel
»Wonach riecht es hier bloß so komisch?«
»Just in diesem Augenblick, ma belle , schnupperst du reine, gesunde Landluft.« Jean-Pauls Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, während er tief Luft holte. Die Flügel seiner elegant geformten Nase bebten leicht. »C’est incroyable .«
»Ich würde eher sagen, es ist unerträglich«, brummte Angie und blickte mit düsterer Miene aus dem Autofenster. »Stinkt wie Pferdescheiße.«
»Und wann, mein Herzblatt, hast du schon einmal Pferdescheiße gerochen?«
»Am 17. Januar 1987, in einer offenen Kutsche im Central Park, wo ich mich totgefroren habe, während du mir den ersten Heiratsantrag gemacht hast. Kann auch der zweite gewesen sein.«
Lachend küßte er ihre Hand. »Dann sollten ja mit diesem Geruch schöne Erinnerungen verbunden sein.«
Das war auch der Fall, trotzdem holte Angie ihren Parfümzerstäuber aus der Tasche und versprühte großzügig Chanel im Wagen.
Dann schlug sie ihre langen Beine übereinander und fragte sich, wie sich ihr Mann nur für endlose Grasflächen, Felsen und fette, unwillig mit dem Schwanz nach Fliegen schlagende Kühe begeistern konnte. Wenn das die vielgepriesene ländliche Idylle war, dann konnte Angie ihr nicht viel abgewinnen.
Dabei war es nicht so, daß sie keinen Gefallen an malerischer Szenerie fand. Der Blick auf Cancun von einem Hotelzimmerbalkon aus oder die Straßen von Paris, von einem Café aus betrachtet, sagten ihr durchaus zu. Aber diese Landschaft hier, deren rustikaler Reiz in der naiven Malerei am besten zur Geltung kam, entsprach nicht unbedingt ihren Vorstellungen von visueller Stimulation.
»Sieh mal! Was ist das denn?«
Seufzend blickte Angie in die Richtung, in die ihr Mann deutete. »Ich glaube, so etwas nennt man ein Silo, obwohl ich keine Ahnung habe, warum.« Sie lehnte sich bequem in ihrem Sitz zurück, während Jean-Paul das neu erlernte Wort ein paarmal wiederholte.
Sie hatte gegen die Fahrt nichts einzuwenden gehabt, wirklich nicht. Jean-Paul wirkte überwältigend sexy, wenn er hinter dem Steuer saß. Angie lächelte in sich hinein, ein typisch weibliches Lächeln voll tiefer Befriedigung. Jean-Paul wirkte
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