Dunkle Herzen
reinschauen.«
»Ich habe heute auch etwas gemacht. Möchtest du es sehen?«
»Ja, bitte.« Höflich faltete Annie die Hände, obwohl sie lieber noch weiter von ihren Bildern erzählt hätte. »Sie machen Figuren, nicht wahr?«
»Manchmal.«
»Miz Atherton sagt, Sie machen Figuren von nackten Leuten.« Annie errötete und begann zu kichern. »Ist Miz Atherton nicht komisch?«
»Ein Unruhestifter ist sie«, murmelte Cam. »Clare macht auch Armbänder«, sagte er etwas lauter.
»Wirklich?« Annies Augen wurden groß. »Ganz ehrlich?«
Clare langte in die Tasche. »Heute habe ich dieses hier gemacht.«
»Ooh.« Annie dehnte die Silbe zu einem Seufzen, als sie zärtlich über das glänzende Metall strich. »Ist das hübsch! Das hübscheste von allen!«
»Danke. Siehst du die Buchstaben?«
Annie beugte sich kichernd vor. »A-N-N-I-E. Annie.«
»Das ist richtig. Jetzt schau dir mal dies hier an.« Clare griff nach Annies Arm, um die Armbänder nebeneinanderhalten zu können. »Hier steht auch etwas drauf, aber das sieht anders aus.«
Stirnrunzelnd betrachtete Annie beide Armbänder. »Ich weiß nicht.«
»Auf diesem hier steht dein Name, Annie, drauf, und auf dem anderen nicht. Das heißt, daß dir das eine Armband nicht gehört.«
»Ich hab’ es nicht gestohlen. Meine Mama hat gesagt, man darf nicht stehlen.«
»Wir wissen, daß du es nicht gestohlen hast«, beruhigte Cam. »Aber ich glaube, ich weiß, wem es gehört.«
»Ich will es nicht zurückgeben!« Annies Lippen begannen zu zittern. »Es ist meins. Ich hab’s gefunden.«
»Du kannst das behalten, was ich gemacht habe.«
Annie beruhigte sich sofort, wie ein Baby, dem man einen Schnuller in den Mund schiebt. »Wie ein Geschenk?«
»Ja, das ist ein Geschenk für dich. Aber es würde uns sehr helfen, wenn du uns das andere Armband geben würdest.«
Annie neigte den Kopf zur Seite und summte leise vor sich hin, während sie überlegte. »Das von Ihnen ist hübscher.«
»Es gehört dir.« Clare streifte es über Annies Handgelenk. »Siehst du?«
Annie hob den Arm, so daß das Metall im Sonnenlicht funkelte. »Mir hat noch nie einer ein Armband gemacht. Noch nie.« Leise seufzend nestelte sie am Verschluß von Carlys Armband herum. »Das können Sie ruhig haben.«
»Annie.« Cam legte ihr eine Hand auf den Arm, damit sie ihm Aufmerksamkeit schenkte. »Wenn dir wieder einfällt, wo du das hier gefunden hast, dann kommst du sofort zu mir und erzählst es mir, ja? Es ist wichtig.«
»Ich finde viele Sachen. Dauernd finde ich was.« In Annies alten, arglosen Augen stand ein Lächeln. »Möchten Sie noch ein Plätzchen?«
»Was hast du jetzt vor?« erkundigte sich Clare auf der Heimfahrt.
»Die Jamisons anzurufen.«
Clare streckte den Arm aus, um ihn zu berühren, und wischte dabei die Feile von der Ablage. »Zu schade, daß Annie sich nicht erinnern kann, wo sie das Armband gefunden hat.«
»Man kann nie vorhersagen, woran sie sich erinnert. Du warst mir eine große Hilfe, Clare. Vielen Dank.«
»Ich wünschte nur, wir hätten anstelle des Armbandes das Mädchen selbst gefunden.«
»Ich auch.«
Clare wandte sich ab und starrte aus dem Fenster. »Du glaubst nicht mehr daran, daß du sie findest.«
»Es gibt keinerlei Hinweise …«
»Ich rede nicht von Hinweisen.« Nun schaute sie ihn wieder voll an. »Ich rede von deinem Instinkt. Als du das Armband eingesteckt hast, konnte ich dir deine Gedanken vom Gesicht ablesen.«
»Du hast recht. Ich glaube nicht, daß ich sie finden werde. Ich glaube, niemand wird sie je wiedersehen.«
Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Cam parkte in der Einfahrt vor Clares Haus, und sie stiegen aus
dem Wagen. Clare ging zu ihm hinüber, schlang die Arme um ihn und barg ihren Kopf an seiner Schulter.
»Komm doch mit rein. Ich mache dir Kaffee und ein paar Spiegeleier.«
»Die Vorstellung, daß du für mich kochst, gefällt mir.«
»Ich fürchte, mir gefällt sie auch.«
»Ich muß noch arbeiten, Slim.« Cam küßte sie auf den Scheitel, ehe er sich aus der Umarmung löste. »Also werde ich mich wohl mit einem Sandwich von Martha zufriedengeben müssen.«
»Ich komme bei dir vorbei, wenn du Feierabend hast.«
»Ich verlaß mich drauf.«
Clare winkte ihm nach, bis er außer Sicht war, ehe sie sich umdrehte, ins Haus ging und den Stimmen folgte, die aus der Küche drangen.
»Die Sache gefällt mir nicht«, beharrte Angie. »Wenn das so oft vorkommt, steckt eine Absicht dahinter.«
»Worum
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