Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
verloren.«
    »Das ist lange her.«
    »Ich weiß. O Gott, ich weiß.« Mit der freien Hand begann sie, ihre Serviette zu zerknüllen. Sie war sich nicht sicher, ob sie die richtigen Worte finden würde. Oft war es leichter, Emotionen in Stahl und Marmor auszudrücken. »Es ist nur so, daß … na ja, sogar nachdem … als wir nur noch zu dritt waren.« Sie schloß kurz die Augen. »Es war hart. Erst der Schock nach dem Unfall, dann das ganze Theater wegen Schmiergeldern, Vetternwirtschaft und unseriösen Geschäften bei dem Einkaufszentrum. Eben noch sind wir eine heile, glückliche Familie, und im nächsten Moment ist Dad tot, und wir haben einen Skandal am Hals. Aber wir haben zusammengehalten, vielleicht zu sehr, und dann ist mit einem Schlag plötzlich alles anders.«
    »Du kannst mich doch jederzeit anrufen, Clare. Ich bin nur eine Flugstunde entfernt.«
    »Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist, Blair. Alles lief wunderbar. Ich liebe meine Arbeit, und ich liebe mein Leben so, wie es ist. Und dann ... ich hatte wieder diesen Traum.«
    »Oh.« Wieder ergriff er ihre Hand, doch diesmal hielt er sie fest. »Das tut mir leid. Möchtest du darüber reden?«
    »Über den Traum?« Mit ruckartigen Bewegungen drückte sie die Zigarette in einem billigen Metallaschenbecher aus. Noch nie hatte sie mit jemandem über die Einzelheiten gesprochen, auch nicht mit ihm. Nur über die Angst. »Es ist immer dasselbe. Zum Glück läßt der Schrecken bald nach. Nur, daß ich diesmal nicht zur Tagesordnung übergehen konnte. Ich hab’ zwar gearbeitet, war aber nicht mit dem Herzen dabei, und das macht sich bemerkbar. Ich muß immer an Dad denken, und an das Haus, ja, sogar an Mrs. Negleys kleinen schwarzen Pudel. Arme Ritter bei Martha’s, nach der Sonntagsmesse.« Sie holte tief Atem. »Blair, ich glaube, ich will zurück nach Hause.«
    »Nach Hause? Nach Emmitsboro?«
    »Genau. Hör zu, du hast mir doch erzählt, daß du gerade mit Leuten verhandelst, die das Haus mieten wollen. Kannst du das nicht noch etwas hinauszögern? Mom hätte sicher nichts dagegen.«
    »Nein, natürlich nicht.« Blair registrierte die nervöse Anspannung seiner Schwester. Ihre Hand in der seinen zuckte leicht. »Clare, von New York nach Emmitsboro ist es ein langer Weg, und ich spreche jetzt nicht nur von der Anzahl der Meilen.«
    »Ich bin diesen Weg schon einmal gegangen.«
    »Von dort nach hier. Zurückgehen, das ist eine ganz andere Sache. Du warst seit … wie vielen Jahren nicht mehr dort?«
    »Seit neun Jahren«, informierte sie ihn. »Fast zehn. Vermutlich war es einfacher, sich ganz von dort zu lösen, nachdem wir mit dem College angefangen hatten. Und als Mom sich dann entschloß, nach Virginia zu ziehen, gab es erst recht keinen Grund, nach Emmitsboro zurückzukehren.« Obwohl sie nicht mehr hungrig war, brach sie ein Stück von ihrem Sandwich ab und steckte es in den Mund. »Wenigstens hat sie das Haus behalten.«
    »Eine gute Investition. Niedrige Steuern, keine Hypothekenbelastung. Die Mieteinnahmen betragen …«
    »Glaubst du wirklich, daß sie das Haus nur aus diesem Grund behalten hat? Wegen der Mieteinnahmen?«
    Blair sah auf ihre ineinander verschlungenen Hände hinab. Er wünschte, er brächte es fertig, diese Frage einfach zu bejahen, damit seine Schwester ihren Seelenfrieden wiederfinden und sich auf die Zukunft konzentrieren könnte, statt die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Seine eigenen Wunden waren weitgehend vernarbt, doch sie konnten durchaus unverhofft wieder aufbrechen und die Erinnerung an seines Vaters Unehrlichkeit und seine eigene schmerzliche Ernüchterung zurückbringen.
    »Nein. In dem Haus stecken zu viele Erinnerungen, und zwar hauptsächlich frohe. Ich denke, wir alle verspüren eine gewisse Bindung daran.«
    »Du auch?« erkundigte sie sich ruhig.
    Ihre Augen trafen sich. In den seinen las sie Verständnis und die letzten Spuren von Schmerz. »Ich habe ihn auch nicht vergessen, wenn du das meinst.«
    »Oder ihm vergeben?«
    »Ich habe gelernt, damit zu leben«, entgegnete er knapp. »Wie wir alle.«
    »Ich möchte zurückgehen, Blair. Ich weiß zwar nicht, warum, aber ich muß zurückgehen.«
    Blair zögerte einen Augenblick; hoffte, sie umzustimmen. Dann gab er achselzuckend nach. »Das Haus steht leer. Du kannst also schon morgen einziehen, wenn du möchtest, obwohl ich es für keine gute Idee halte, in der Vergangenheit zu wühlen, wenn man ohnehin schon an einem Tiefpunkt angelangt

Weitere Kostenlose Bücher