Dunkle Herzen
und beschloß nach kurzem Zögern, die Nichtraucherschilder zu ignorieren. Wer hier landete, hatte gegen Rauch nichts mehr einzuwenden.
Ein Leichenschauhaus war ein ruhiger, auf seine Weise sogar friedlicher Ort. Schließlich war das Leben nur ein kurzes, hektisches Geschäft, welches unweigerlich mit dem Tod endete. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund flößten Leichenschauhäuser Cam nur halb soviel Unbehagen ein wie Friedhöfe.
Hier blieb den Menschen zumindest noch ein Rest ihrer Würde.
Er konnte allerdings nicht behaupten, daß ihn der typische Geruch nach Reinigungs- und Desinfektionsmitteln, worunter sich noch etwas anderes, weitaus Unangenehmeres verbarg, nicht störte. Aber er zwang sich, diese Angelegenheit als bloßen Job zu betrachten. Jemand war getötet worden, und er hatte herauszufinden, warum.
Dr. Loomis kam, sich beim Gehen die rosigen, frischgeschrubbten Hände abtrocknend, durch die Schwingtür. Er trug einen weißen Arztkittel mit Namensschild daran, und auf seiner Brust baumelte ein Mundschutz. Ihm fehlte nur noch ein Stethoskop, fand Cam. Aber schließlich gehörte es ja nicht zu Loomis’ Job, Herztönen zu lauschen.
»Sheriff.« Loomis warf das Papiertuch in einen Abfallbehälter und musterte Cams Zigarette mißbilligend, ohne etwas
zu sagen. Trotzdem löschte Cam sie sofort in seinem Kaffeebecher.
»Was haben Sie herausgefunden?«
»Bei Ihrer Jane Doe handelt es sich um eine fünfzehn bis achtzehnjährige Weiße. Ich schätze, daß sie seit etwa einem Monat, höchstens zwei, tot ist.«
Seit dem ersten Mai waren sechs Wochen vergangen, rechnete Cam rasch. »Und die Todesursache?«
»Der Tod wurde durch das Durchtrennen der Kehle herbeigeführt.«
»Herbeigeführt.« Cam warf den Kaffeebecher fort. »Netter Ausdruck.«
Loomis neigte leicht den Kopf. »Vor Eintritt des Todes wurde das Opfer sexuell mißbraucht, und zwar allem Anschein nach mehrfach und unter Gewaltanwendung. Sie war an Händen und Füßen gefesselt. Die Bluttests laufen noch. Leider kann ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, ob sie unter Drogeneinfluß stand.«
»Die Zeit drängt.«
»Wir tun unser Bestes. Haben Sie die zahnärztlichen Unterlagen schon angefordert?«
»Sie sind unterwegs. Ich habe eine vermißte Person, auf die die Beschreibung paßt, aber ich halte die Eltern noch hin.«
»Das dürfte unter diesen Umständen das beste sein. Darf ich Ihnen noch einen Kaffee spendieren?«
»Danke, gern.«
Loomis ging den Flur entlang, blieb vor einem Getränkeautomaten stehen und warf genau abgezählte Münzen in den Schlitz. »Milch?«
»Lieber schwarz.«
Loomis reichte Cam einen Becher, dann warf er weitere Münzen ein. »Sheriff, dies ist ein besonders grausamer und schwieriger Fall, und soviel ich weiß, betrifft er Sie auch persönlich.«
»Als Kind habe ich auf diesen Feldern gespielt, habe mit meinem Vater an genau der Stelle, wo das Mädchen gefunden wurde, Heuballen aufgestapelt. Dort starb mein Vater
übrigens auch. Er wurde an einem herrlichen Sommernachmittag von seinem eigenen Traktor zerquetscht. Ich denke, das ist persönlich genug.«
»Entschuldigung.«
»Schon gut.« Über sich selbst verärgert, rieb sich Cam die Nase. »Ich habe Beweise, daß der zweite Mann meiner Mutter dieses Mädchen in seinem Schuppen gefangengehalten hat. Vielleicht nicht nur sie, sondern auch noch andere. Nun sieht es so aus, als habe er sie auch noch vergewaltigt, getötet und ihren Leichnam einfach ins Feld geworfen.«
Loomis’ sanfte Augen verrieten nichts von dem, was in ihm vorging. »Es ist Ihr Job, das zu beweisen, aber mein Job ist es, Ihnen zu sagen, daß die Leiche auf keinen Fall wochenlang in diesem Feld gelegen hat.«
Cam, der gerade den Kaffeebecher zum Mund führen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Der Leichnam ist zwar dort gefunden worden, wurde aber erst kürzlich dorthin geschafft.«
»Moment mal. Sie sagten soeben, sie sei schon seit ein paar Wochen tot.«
»Tot und begraben, Sheriff. Der Körper hat schon einige Wochen in der Erde gelegen. Ich würde sagen, daß er vor ungefähr zwei oder drei Tagen exhumiert und in besagtem Feld abgelegt wurde. Vielleicht ist es noch nicht einmal so lange her.«
Cam konnte es nicht fassen. »Sie wollen damit sagen, daß jemand das Mädchen umgebracht, es begraben und dann wieder ausgegraben hat?«
»Daran besteht kein Zweifel.«
»Lassen Sie mir eine Minute Zeit.« Cam starrte die grünen Wände
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