Dunkle Herzen
Art Bande, zu der sich die harten Jungs der Stadt zusammengeschlossen haben?«
Atherton zog die Augenbrauen zusammen, wobei sich sein oberlehrerhaftes Gesicht in tausend Fältchen legte. »Nein. Natürlich haben wir ein paar Störenfriede unter den Schülern, auch den einen oder anderen Außenseiter, und hin und wieder kommt es mal zu einer harmlosen Rauferei, aber ansonsten …« Seine nachdenklichen Augen weiteten sich plötzlich. »Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Biff von Kindern umgebracht worden ist?«
»Irgendwo muß ich beginnen.«
»Sheriff … Cameron … an der Emmitsboro High haben wir noch nicht einmal Probleme mit Drogen, das wissen Sie so gut wie ich. Zugegeben, ab und an schlagen sich die Jungen mal gegenseitig die Nasen blutig, und die Mädchen reißen sich im Streit die Haare aus, aber derartige Kindereien führen doch nicht zu Mord.« Er zog ein sorgfältig gebügeltes Taschentuch hervor und betupfte damit seine Unterlippe. Der Gedanke an Mord hatte bewirkt, daß ihm der Schweiß ausgebrochen war. »Ich bin überzeugt, daß sich am Ende herausstellen wird, daß ein Fremder, jemand von
außerhalb der Stadt, für dieses Verbrechen verantwortlich ist.«
»Komisch, daß ein angeblich Fremder die Leiche genau dort deponierte, wo seit ewigen Zeiten die Kinder im Creek planschen. Und daß ein Fremder den Wagen in der Nähe von genau der Strecke versteckt hat, auf der Bud Hewitt jeden Abend Streife fährt.«
»Aber – wer auch immer … das bestätigt doch meine Theorie, oder nicht? Es kann doch wohl nicht in der Absicht der Täter gelegen haben, daß die Leiche so schnell gefunden wird.«
»Das ist die Frage«, murmelte Cam. »Sehr freundlich von Ihnen, daß Sie meine Mutter nach Hause fahren, Bürgermeister.«
»Bitte? Ach ja. Ich bin Ihnen gerne behilflich.« Das Taschentuch noch immer gegen die Lippen gepreßt, starrte Atherton Cam nach. Langsam füllten sich seine Augen mit Furcht.
Crazy Annie stand verzückt vor Cams Auto und tätschelte die Motorhaube so zärtlich, als handele es sich um den Familienhund. Sie beugte sich dicht darüber, angelockt von dem glänzenden blauen Lack. Wenn sie genau hinsah, konnte sie darin ihr Spiegelbild erkennen. Dieser Anblick brachte sie zum Kichern.
Mick Morgan beobachtete sie durch sein Bürofenster. Kopfschüttelnd riß er die Tür auf.
»He, Annie, Cam wird ziemlich sauer sein, wenn du überall auf dem Wagen deine Fingerabdrücke hinterläßt.«
»Er ist hübsch.« Doch Annie polierte die Haube rasch mit ihrem schmuddeligen Ärmel, bis kein Fleck mehr zu sehen war. »Ich mach’ nichts kaputt.«
»Warum gehst du nicht zu Martha’s und läßt dir was zu essen geben?«
»Ich hab’ ein Sandwich. Alice hat mir ein Sandwich gemacht. Käse und Schinken auf Vollkorntoast. Mit Mayo.«
»Ist schon gut.« Cam trat vom Bürgersteig auf die Straße. Der Fußmarsch vom Bestattungsinstitut bis hierher hatte
seine Laune nicht wesentlich verbessert, doch als er sah, wie Annie sein Auto streichelte, mußte er unwillkürlich lächeln. »Wie geht’s, Annie?«
Jetzt konzentrierte sie sich ganz auf ihn. Ihre Armbänder klirrten, als sie an den Knöpfen ihrer Bluse herumspielte. »Kann ich auf Ihrem Motorrad mitfahren?«
»Das hab’ ich heute nicht dabei.« Cam bemerkte, wie sie schmollend die Unterlippe vorschob. Dieser Flunsch eines kleinen Mädchens auf ihrem gealterten Gesicht wirkte irgendwie rührend. »Wie wär’s mit einer Autofahrt? Soll ich dich nach Hause bringen?«
»Darf ich vorne sitzen?«
»Na klar.«
Als er sich bückte, um ihren Sack aufzuheben, griff Annie rasch danach und drückte ihn an sich. »Ich kann ihn selbst tragen. Er gehört mir. Ich kann ihn selbst tragen.«
»Okay. Rein mit dir. Weißt du, wie man den Sicherheitsgurt anlegt?«
»Das haben Sie mir letztes Mal gezeigt. Sie haben’s mir gezeigt.« Annie zwängte sich nebst Sack auf den Sitz und begann mit zwischen die Zähne geklemmter Zunge, am Sicherheitsgurt herumzuhantieren. Als die Schnalle in die Halterung schnappte, stieß sie einen kleinen Freudenschrei aus. »Sehen Sie? Ich hab’s alleine geschafft. Ganz alleine.«
»Sehr gut.« Sobald Cam im Auto saß, ließ er sofort die Fenster herunter. Da Annie, dem Geruch nach zu urteilen, das letzte Mal an Weihnachten gebadet haben mußte, war er dankbar, daß der Abend warm und windig war.
»Das Radio.«
Cam fuhr an. »Hier, dieser Knopf.« Er deutete auf das Autoradio, wohl wissend, daß Annie es selbst
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