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Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Statt dessen stand sie einfach nur da, las wieder und wieder die Inschrift auf seinem Grabstein und versuchte, eine Verbindung zu ihm herzustellen. Doch nichts war geblieben, nur Granit und Gras.
    Während er neben seiner Mutter stand, beobachtete Cam Clare. Die Sonne verwandelte ihr Haar in flammendes Kupfer, hell, leuchtend und voller Leben. Seine Finger verkrampften sich ineinander, als ihm plötzlich bewußt wurde, wie verzweifelt er sich danach sehnte, das Leben zu berühren. Jedesmal, wenn er seiner Mutter die Hand auf den Arm oder auf die Schulter legte, war es ihm, als träfe er auf eine kalte Wand. Sie wollte seine Hilfe nicht, und sie brauchte seine Hilfe auch nicht.
    Trotzdem brachte er es nicht fertig, sie allein zu lassen, konnte sie nicht einfach stehenlassen, zu Clare hinübergehen und das Gesicht in diesem leuchtenden, glänzenden Haar vergraben. Er konnte das Leben nicht mit beiden Händen packen.
    Er haßte Friedhöfe, dachte Cam grimmig, und das leere Grab eines Kindes kam ihm wieder in den Sinn.
    Als Clare sich abwandte, zu ihrem Auto zurückging und davonfuhr, wußte er, was es hieß, vollkommen allein zu sein.
     
    Den Rest des Tages arbeitete Clare pausenlos, wie im Fieber. Ihre zweite Metallskulptur war fast fertig. Wenn es an der Zeit war, den Stahl abkühlen zu lassen, würde sie den Schweißbrenner ausschalten, ihre Kappe vom Kopf reißen und das Tonmodell von Ernies Arm in Angriff nehmen.
    Sie konnte sich einfach keine Ruhe gönnen.
    Mit Messern, bloßen Händen und Holzspateln formte, glättete und gestaltete sie. Sie konnte den Trotz förmlich fühlen, als sie die Faust nachbildete, und die innere Unrast, als sie detailliert die Muskeln des Oberarms herausarbeitete. Geduldig schabte sie mit einem dünnen Draht winzige Bröckchen fort, dann glättete sie das Material mit einer feuchten, feinen Bürste.
    Aus dem Radio dröhnte die wildeste, fetzigste Rockmusik, die sie auf der Senderskala hatte finden können. Da sie bis obenhin mit Energie aufgeladen zu sein schien, wusch sie sich den Ton von den Händen und verzichtete darauf, eine Pause einzulegen; sie konnte einfach nicht aufhören. Auf einem anderen Arbeitstisch lag ein Kirschholzklotz, an dem sie schon herumgeschnitzt hatte. Sie suchte die notwendigen Werkzeuge – Hammer, Meißel und Zirkel – zusammen und setzte diese nervöse Energie um, indem sie sich in ein neues Projekt stürzte.
    Erst als die sinkende Sonne sie zwang, das Licht anzuknipsen, unterbrach sie kurz ihr Tun und suchte im Radio nach einem anderen Sender. Klassische Musik, ebenso leidenschaftlich und vibrierend wie der Rock. Autos fuhren vorüber, ohne daß sie sie wahrnahm. Das Telefon klingelte, doch sie ignorierte es.
    Ihre anderen Projekte traten völlig in den Hintergrund. Jetzt war sie ein Teil des Holzes und der Möglichkeiten, die es ihr bot. Und das Holz absorbierte ihre aufwallenden
Emotionen und reinigte sie. Clare benutzte keine Skizze, keine Vorlage, nur Erinnerungen.
    Mit sicheren, geschickten Fingern führte sie die feinen Schnitzarbeiten aus. Ihre Augen brannten mittlerweile von dem auffliegenden Holzstaub, doch sie rieb nur mit dem Handrücken darüber und arbeitete weiter, während das Feuer in ihrem Inneren immer heftiger loderte, statt langsam zu verlöschen.
    Die ersten Sterne zeigten sich am Himmel; der Mond ging auf.
    So fand Cam sie vor, über ihre Arbeit gebeugt, eine blitzende Holzfeile in der Hand. Nackte Glühbirnen über ihr sorgten für ausreichendes Licht und zogen blasse, großflügelige Motten in ihren tödlichen Bann. Musik, die nur aus dem Jaulen von Gitarrensaiten und hämmernden Bässen zu bestehen schien, donnerte aus dem Radio.
    Auf ihrem Gesicht, in ihren Augen lag leuchtender Triumph. Alle paar Minuten strichen ihre Finger über das Holz, in einer Art von Kommunikation, die Cam zwar erkannte, jedoch nicht verstehen konnte.
    In den Umrissen, die das Holz annahm, lag etwas Wildes, Ungezähmtes. Langsam bildete sich ein Profil heraus, als Cam die Garage betrat, konnte er erkennen, daß es sich um ein Gesicht handelte, welches auf eine verzerrte Weise maskulin wirkte. Ein zurückgeworfener Kopf, der aussah, als halte er das Gesicht der Sonne entgegen.
    Wortlos sah er ihr zu, dabei verlor er jegliches Zeitgefühl. Doch er spürte die Leidenschaft, die aus ihr herausströmte, bis zu ihm floß und ein fast schmerzhaftes Feuer in seinem Inneren entfachte.
    Clare legte die Werkzeuge aus der Hand, glitt von ihrem Stuhl und trat ein

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