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Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Friedhof bei Quiet Knolls bewegte, hatte sich kilometerlang gestaut.
    Zum Teil waren heute dieselben Leute anwesend wie damals. Älter, mit mehr Speck um die Hüften, dafür weniger Haare auf dem Kopf. Schweigend nahmen sie ihre Plätze ein und hingen ihren Gedanken nach.
    Auch Rosemary Kimball war – wie heute Jane Stokey – von einem Kreis Frauen aus der Stadt umgeben gewesen, die ihr seelischen Beistand geleistet und sie ob ihres schmerzlichen Verlustes bedauert hatten, insgeheim erleichtert, daß bei ihnen selbst der Witwenstatus wohl noch lange auf sich warten lassen würde.
    Später hatten sie Speisen ins Haus gebracht – Schinken, Kartoffelsalat, gegrillte Hähnchen –, um die Trauergäste zu verköstigen. Die Lebensmittel als solche hatten keinerlei Bedeutung gehabt, es war die Geste, die zählte. Die Freundlichkeit der Menschen half, die Leere ein wenig auszufüllen.
    Nur wenige Tage später war es dann zum Skandal gekommen. Jack Kimball, das allgemein beliebte, geachtete Mitglied der Gesellschaft, galt nun als Opportunist, dem man Schmiergeldaffären, Bestechung und Urkundenfälschung vorwarf. Während der Kummer noch an Clare nagte, hatte man ihr bereits klargemacht, sie müsse akzeptieren, daß ihr Vater ein Lügner und Betrüger gewesen sei.
    Doch damit hatte sie sich nie abgefunden, genausowenig wie mit seinem Selbstmord.
    Cam bemerkte sie. Er war erstaunt, sie hier zu sehen, und alles andere als erfreut, als er registrierte, wie blaß ihr
Gesicht und wie starr ihre Augen wirkten. Alice’ Hand fest umklammert haltend, schaute sie blicklos ins Leere. Er fragte sich, was sie wohl hören und sehen mochte. Mit Sicherheit lauschte sie Chucks Worten über das ewige Leben und die Vergebung aller Sünden genausowenig wie er.
    Dafür hörten andere um so aufmerksamer zu, mit unbewegten Gesichtern und regungslos im Schoß liegenden Händen. Und Furcht stieg in ihnen hoch. Eine Warnung war erfolgt. Wenn einer aus ihren Reihen es wagte, die Gebote zu übertreten, dann würde er erbarmungslos ausgelöscht werden. Der Zorn der Auserwählten war nichts anderes als der Zorn des Herrn der Finsternis selbst. So hörten sie zu und erinnerten sich. Und hinter ihren betroffenen Augen und gesenkten Köpfen lauerte die Angst.
    »Ich muß zurück.« Alice drückte Clares Hand. »Ich muß zurück«, wiederholte sie. »Clare?«
    »Bitte?« Clare zwinkerte verwirrt. Die Leute standen bereits von ihren Plätzen auf und begannen, sich hinauszudrängeln.
    »Ich konnte mir nur gerade so lange freinehmen, um die Trauerfeier zu besuchen. Fährst du mit raus auf den Friedhof?«
    »Ja.« Clare hatte vor, ein ganz anderes Grab zu besuchen. »Ja, ich fahre mit.«
    Lediglich ein halbes Dutzend Autos verließ gemächlich den Parkplatz hinter dem Haus. Farmen mußten bewirtschaftet und Geschäfte geöffnet werden, außerdem waren nicht allzu viele Leute willens, ihre kostbare Zeit zu opfern, nur um mit anzusehen, wie Biff Stokey der Erde übergeben wurde. Clare schloß sich der Schlange an und richtete sich innerlich auf die kurze, gemessene Fahrt zum zehn Meilen entfernt liegenden Friedhof ein. Langsam fuhr der kleine Konvoi kurze Zeit später durch die weit geöffneten Eisentore.
    Mit klammen Fingern stellte Clare den Motor ab, um noch eine Weile im Auto zu warten. Die Sargträger hoben inzwischen ihre Last an; ein paar Leute folgten ihnen. Clare konnte den Bürgermeister, Doc Crampton, Oscar Roody,
Less Gladhill, Bob Meese und Bud Hewitt erkennen. Cam ging neben seiner Mutter her, berührte sie aber nicht.
    Clare stieg aus, wandte sich von der traurigen Szene ab und stieg den Hügel empor. Vögel freuten sich zwitschernd an dem warmen Maimorgen, und das Gras duftete süß. Hier und da leuchteten Plastikblumen und künstliche Kränze zwischen Grabsteinen und Gedenktafeln; Schmuck, der nie verwelken würde. Clare fragte sich, ob den Leuten, die diese Scheußlichkeiten hierhin gelegt hatten, nicht aufgefallen war, daß die nie erlöschenden Farben um so vieles trostloser wirkten als verblühende Nelken und Lilien.
    Ein großer Teil ihrer Familie ruhte hier; ihre Großeltern mütterlicherseits, Großtanten und – onkel sowie eine junge Cousine, die lange vor Clares Geburt an Kinderlähmung gestorben war. Langsam schlenderte Clare zwischen den Gräbern umher, wobei ihr die Sonne in die Augen stach und ihr Gesicht wärmte.
    Weder kniete sie am Grab ihres Vaters nieder, noch hatte sie Blumen mitgebracht, noch fing sie an zu weinen.

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