Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
alle, was für ein netter Kerl er doch war – sogar wenn er ein Stück Dreck gewesen ist.« Sarah hob eine Braue. »Stimmt es, daß er kastriert worden ist?«
    »Um Himmels willen, Sarah!« Bud packte seine Schwester
am Arm und zog sie hastig in den hinteren Teil des Raums.
    »Sieh mal einer an, wer da kommt.« Sarahs Lächeln wurde dünn, als sie sah, wie Clare den Raum betrat. »Die verlorene Tochter.« Sie musterte Clare von oben bis unten. Insgeheim beneidete sie sie um das schlichte, aber kostspielige dunkle Kostüm. »Als gutgebaute Frau konnte man sie noch nie bezeichnen, was?«
    Clares Herz pochte heiß und schmerzhaft gegen die Rippen. Sie hatte nicht geahnt, daß es so schlimm werden würde. Das letzte Mal, als sie diesen Raum betreten und einen blumengeschmückten Sarg, von Einwohnern der Stadt flankiert, gesehen hatte, war bei der Beerdigung ihres Vaters gewesen. Sie hätte schwören können, daß damals sogar dieselbe schwermütige Orgelmusik gespielt worden war.
    Der beißende Duft, den die unzähligen Gladiolen und Rosen verströmten, benebelte sie ein wenig. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie mit dem Blick dem schmalen Durchgang zwischen den Sitzreihen bis hin zu der rechteckigen freien Fläche dahinter folgte, und sie kämpfte verzweifelt gegen den Drang an, sich umzudrehen und hinauszulaufen.
    Reiß dich zusammen, schließlich bist du eine erwachsene Frau, befahl sie sich energisch. Der Tod ist ein Teil des Lebens; einer, mit dem du dich auseinandersetzen mußt. Trotzdem sehnte sie sich danach, einfach fortzurennen, hinaus in den hellen Sonnenschein. Ihre Knie begannen zu zittern.
    »Clare?«
    »Alice.« Erleichtert ergriff Clare die Hand der Freundin und rang um Beherrschung. »Sieht aus, als hätte sich die halbe Stadt hier versammelt.«
    »Nur Mrs. Stokey zuliebe.« Alice’ Blick wanderte über die Gesichter. »Und weil sie sich Unterhaltung erhoffen.« In ihrer Kellnerinnenuniform kam sie sich ausgesprochen fehl am Platz vor, doch sie hatte sich nur zwanzig Minuten von der Arbeit freimachen können. Abgesehen davon war ihr schwarzes Sweatshirt das einzige Kleidungsstück, das
sie besaß, welches sich für eine Trauerfeier eignete. »In einer Minute fangen sie an.«
    »Ich setze mich lieber nach hinten.« Clare hatte keinesfalls die Absicht, zum Sarg zu marschieren und einen Blick hineinzuwerfen.
    Hey, Biff, lange nicht gesehen. Tut mir wirklich leid, daß du tot bist.
    Bei diesem Gedanken mußte sie ein nervöses Kichern unterdrücken und sofort darauf mit aller Kraft die Tränen zurückhalten. Was hatte sie hier verloren? Was zum Teufel tat sie eigentlich hier? Sie war Cam zuliebe gekommen, mahnte sich Clare. Außerdem wollte sie sich selbst beweisen, daß es ihr möglich war, wie ein verantwortungsbewußter erwachsener Mensch in diesem kleinen, überheizten Raum zu sitzen und eine Trauerfeier durchzustehen.
    »Alles in Ordnung mit dir?« flüsterte Alice.
    »Ja.« Clare schöpfte tief Atem. »Wir sollten uns besser setzen.«
    Sowie Alice und sie Platz genommen hatten, suchte Clare den Raum nach Cam ab. Sie entdeckte Min Atherton in blauem Polyester, die ein betrübtes Gesicht zur Schau trug. Doch ihre hellen Augen glitzerten vor heimlicher Freude. Neben ihr saß der Bürgermeister, mit gesenktem Kopf, als sei er im Gebet versunken.
    Farmer, Kaufleute und Mechaniker standen, angetan mit ihren Sonntagsanzügen, in Gruppen zusammen und sprachen über ihre Arbeit oder über das Wetter. Mrs. Stokey war von einem Kreis Frauen umgeben. Cam hielt sich an ihrer Seite. Sein Gesicht nahm jedesmal einen verschlossenen, unnahbaren Ausdruck an, wenn er seine Mutter beobachtete.
    Chuck Griffith ging gemessenen Schrittes bis zum Ende des Raumes, drehte sich um und wartete. Murmelnd schlurften die Leute zu ihren Plätzen.
    Stille.
    »Freunde«, hob Chuck an, und Clare erinnerte sich.
    Der Raum war während der beiden Abende, an denen die Leiche öffentlich aufgebahrt wurde, stets überfüllt gewesen.
Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Emmitsboro hatte Jack Kimball gekannt. Und alle waren sie gekommen. Ihre tröstenden Worte waren an Clare vorbeigerauscht und hatten nur eine vage Vorstellung ihrer Bedeutung hinterlassen. Kummer und Bedauern. Aber keiner, kein einziger von ihnen hatte auch nur im entferntesten geahnt, wie entsetzlich sie litt.
    Die Kirche, in der der Trauergottesdienst abgehalten wurde, war bis auf den letzten Platz belegt gewesen, und die Schlange der Autos, die sich zum

Weitere Kostenlose Bücher