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Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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wieder Glas unter ihren Füßen. Komisch, überlegte sie. Wenn er die Flasche in Türnähe zerbrochen hatte, wie kam dann soviel Glas hinter den Schreibtisch? Und unter das Fenster?
    Langsam hob sie den Blick von den langen, gezackten Scherben zu dem schmalen, hohen Fenster hinter dem Schreibtisch ihres Vaters. Das Fenster war nicht offen, sondern kaputt. Tückische spitze Glasscherben hingen immer noch am Rahmen. Mit weichen Knien schlich sie vorsichtig vorwärts, immer näher. Und blickte hinunter auf die geflieste Terrasse, wo ihr Vater rücklings auf den Steinplatten lag, von einem der Pfähle, die er am selben Nachmittag noch eingeschlagen hatte, buchstäblich aufgespießt.
    Clare erinnerte sich, daß sie kopflos losgerannt war, auf den Stufen stolperte, sich wieder fing, durch die langezogene Halle rannte, dann der Schwingtür zur Küche einen Tritt versetzte und die hintere Glastür, die ins Freie führte, aufriß.
    Er lag da wie eine zerbrochene Puppe, blutend, den Mund weit geöffnet, so, als wolle er etwas sagen. Oder schreien. Die scharfe, blutverkrustete Spitze des Pfahls ragte aus seiner Brust.
    Aus weit aufgerissenen, blicklosen Augen starrte er sie an. Clare schüttelte ihn, schrie ihn an, versuchte, den leblosen Körper hochzuzerren, dann verlegte sie sich auf Betteln und Flehen, doch er regte sich nicht mehr. Der Geruch von Blut, seinem Blut, stieg ihr in die Nase und vermischte sich mit dem schweren Duft der Sommerrosen, die er so geliebt hatte.
    Da begann sie zu schreien. Sie schrie und schrie, bis die Nachbarn sie beide fanden.

Zweites Kapitel
    Cameron Rafferty haßte Friedhöfe. Nicht etwa, weil er abergläubisch war – er gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die schwarzen Katzen aus dem Weg ging oder vorsorglich auf Holz klopfte –, sondern weil er die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit scheute. Er wußte, daß er nicht ewig leben würde, und er war sich bewußt, daß gerade er als Cop sich häufiger als andere Menschen in Lebensgefahr begab. Doch das war sein Job, so wie das ganze Leben ein Job war und der Tod den endgültigen Ruhestand bedeutete.
    Aber der Teufel sollte ihn holen, wenn er sich gerne von marmornen Gedenksteinen und verwelkten Blumenarrangements daran erinnern ließ.
    Wie dem auch sei, er war gekommen, um einen Blick auf ein Grab zu werfen, und Gräber traten für gewöhnlich in Rudeln auf und vereinigten sich zu Friedhöfen. Dieser hier gehörte zu der katholischen Marienkirche und lag auf einem verwilderten Stück Land im Schatten des alten Glokkenturms. Die kleine, stabile Steinkirche hatte Wetter und Sünde seit einhundertdreiundzwanzig Jahren erfolgreich getrotzt, und die letzte Ruhestätte für die in die Ewigkeit eingegangenen Katholiken war mit Stacheldraht eingezäunt. Die meisten der rostigen Dornen fehlten, doch niemand störte sich groß daran.
    Heutzutage bekannten sich die meisten Einwohner von Emmitsboro entweder zu der methodistischen Kirche an der Main Street oder der lutherischen Kirche Ecke Poplar. Auch die Baptisten im Süden der Stadt und die Katholiken hatten ihre kleine Gemeinde – wobei die Baptisten einen leichten Vorteil verzeichnen konnten.
    Seit den siebziger Jahren hatte die Anzahl der Kirchenaustritte immer mehr zugenommen, so daß in der Marienkirche nur noch die Sonntagsmesse abgehalten wurde. Die Priester der Sankt-Anna-Kirche in Hagerstown wechselten sich dabei untereinander mit dem Religionsunterricht und der darauf folgenden Neun-Uhr-Messe ab. Ansonsten wurde die Marienkirche nicht mehr viel genutzt, außer um die Oster- und Weihnachtszeit. Und natürlich zu Hochzeiten und Beerdigungen. Egal, wohin sich die Schäfchen auch verirrt haben mochten, am Ende kehrten sie zur Marienkirche zurück, um dort zur letzten Ruhe gebettet zu werden.
    Diese Vorstellung war nicht dazu angetan, Cam, der dort am Taufbecken, direkt vor der großen, strengblickenden Marienstatue getauft worden war, zu beruhigen.
    Es war eine wundervolle Nacht, etwas kühl und windig zwar, aber dafür leuchtete der Himmel sternenklar. Viel lieber hätte er jetzt mit einer kalten Flasche Rolling Rock auf seiner Veranda gesessen und durch sein Teleskop die Sterne betrachtet. Tatsächlich hätte er es sogar vorgezogen, einen ausgerasteten Junkie durch dunkle Straßen zu jagen. Dem möglichen Tod mit der Waffe in der Hand gegenüberzutreten ließ den Adrenalinspiegel hochschnellen und hielt einen davon ab, allzusehr über die unausweichlichen Tatsachen des Lebens

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