Dunkle Küsse: Ein Vampirthriller (German Edition)
Handschuhfach hastig zu, als er in der Tür der Tankstelle erscheint, zwei riesige Styropor-Becher in den Händen. Er reicht sie mir, steigt ein, nimmt mir einen Becher wieder ab, und los geht’s.
Zum Glück hat Dan nicht das Bedürfnis, sich zu unterhalten während der langen, langweiligen Fahrt nach El Centro. Die Landschaft ist alles andere als bemerkenswert. Ich lehne den Kopf zurück, schließe die Augen und stelle mich schlafend, damit ich mich in Ruhe und ausführlich wegen meiner Dummheit ausschimpfen kann. Nicht zu fassen, was ich seit gestern Abend getan habe. Das letzte Mal hatte ich Sex mit einem Wildfremden, als ich noch aufs College ging. Selbst damals habe ich mich nie so betrunken, dass ich völlig die Kontrolle über mich verloren hätte. Und ich habe immer verhütet. Nach allem, was ich unter der Dusche gesehen habe, bin ich sicher, dass diesmal keine Kondome im Spiel waren. Wenn ich kein Vampir wäre, würde ich jetzt ausflippen vor Sorge.
Ich flippe trotzdem fast aus vor Sorge. Was, wenn sich dieser Kerl als Rächer entpuppt hätte? Er hätte mich ebenso leicht mit dem Pflock bearbeiten wie vögeln können. Ich könnte jetzt schon ein Häuflein Staub sein. Dan ist ein Mensch, und das bringt weitere Bedenken mit sich. Bisher habe ich meine Begegnungen außerhalb der Beziehung mit Max einfach der Notwendigkeit zugeschrieben. Ich musste schließlich trinken. Ich bin aber ziemlich sicher, dass ich letzte Nacht nicht getrunken habe. Letzte Nacht war ich nur stinksauer, habe mich besoffen und mich flachlegen lassen.
Scheiße.
Tja, jetzt weiß ich Bescheid. Vampire können sich ebenso betrinken und dann Dummheiten machen wie Menschen. Was ich nicht weiß, ist, wie sich der Alkohol langfristig auf meinen Körper auswirken wird. Ich habe kein funktionierendes Verdauungssystem mehr. Wie beim Trinken aus Blutgefäßen werden sämtliche Flüssigkeiten direkt in meinen Blutkreislauf geleitet. Offensichtlich geht das bei Alkohol ebenso schnell wie bei Blut. Werde ich mich also irgendwann wieder an die vergangene Nacht erinnern können? Das ist wohl keine Frage, die ich Williams stellen sollte. Körperliche Verletzungen heilen sehr schnell. Sogar die wunden Stellen schmerzen nicht mehr wie vorhin. Was mich wieder zu der Frage bringt, was um Himmels willen wir letzte Nacht nur gemacht haben. Dieser Typ muss bestückt sein wie ein …
Was denke ich denn da?
Was stimmt bloß nicht mit mir?
Ein Ansatz von Begreifen blüht in meinem Verstand auf. Dies ist der Grund dafür, dass Williams und Culebra mir ständig einreden wollen, ich müsse meine menschlichen Blutkontakte auf einen verlässlichen Wirt einschränken. Das ist sicherer. Wenn Illusionen zerplatzen, führt das offenbar bei Vampiren, genau wie bei Menschen, zu unvorsichtigem, riskantem Verhalten.
Es ist warm im Auto, und ehe ich mich versehe, bin ich doch tatsächlich eingenickt. Das merke ich erst, als eine Hand mich am Arm packt. Dieses Gefühl lässt mich nämlich mit einem Zähneschnappen und einem tiefen Knurren aus dem Schlaf fahren.
Dan zieht die Hand zurück. »Anna? Puh, das muss ja ein Alptraum gewesen sein.« Er zeigt auf die Straße vor uns. »Wir sind fast da. Hast du noch irgendwelche Fragen, bevor ich dich zu Sylvie bringe?«
Ich reibe mir die Augen und richte mich auf. Ich habe eine Menge Fragen. »Sag mir noch mal, wie das mit Sylvies Exmann ist.«
Dan zögert einen Augenblick, ehe er spricht. Er hält den Blick auf die Straße gerichtet, doch sein Griff um das Lenkrad wird fester. »Sein Name ist Alan Rothman. Er ist Bauarbeiter. Er und ich haben vor ein paar Jahren hin und wieder zusammengearbeitet. Er schien ganz nett zu sein. War gut in seinem Job, und freundlich. Sylvie hatte gerade das College abgeschlossen und eine Stelle in der Bank bei uns im Ort bekommen. Sie kannte hier nicht viele Leute, also habe ich die beiden einander vorgestellt.«
Offenbar bleiben ihm die Worte fast in der Kehle stecken. Er verstummt und sammelt sich. »Ich habe die beiden miteinander bekannt gemacht. Das ist das Allerschlimmste. Sie sind miteinander ausgegangen, dann haben sie geheiratet. Anfangs war alles gut. Dann wurde er eifersüchtig – auf Sylvies Beruf, ihre Freundinnen, auf mich, Herrgott noch mal. Wir sind früher jede Woche zusammen Mittagessen gegangen. Eines Tages ist sie nicht gekommen. Als ich in der Bank angerufen habe, haben sie mir gesagt, dass Sylvie seit zwei Tagen nicht zur Arbeit erschienen war. Ich bin zu ihr nach Hause
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