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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
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etwas fehlt – willst du wirklich mit ihm zusammenbleiben?
    Â 
    Es wäre gelogen, würde ich behaupten, seine Worte hätten keinen Einfluss auf mich. Es ist wie ein Kampf zwischen seinen und deinen Worten.
    Â 
    Ich erinnere mich (ich weiß nicht, warum gerade jetzt, vielleicht weil ich auf die Idee kam, dich im Konsulat anzurufen, als du meine Mails nicht beantwortet hast), dass ich, als ich in Ilja verliebt war und er hunderte von Kilometern von mir entfernt in Riga lebte, ihn dort anrief, wenn ich wusste, dass er nicht zu Hause war, nur um seine Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören.
    Â 
    Meine Mutter telefoniert mit ihrem Liebhaber. Ich bin die Einzige, die darüber Bescheid weiß. Sie sagt, das Schicksal habe sie zusammengebracht. Aber was sie in Wirklichkeit zusammengebracht hat, ist sein Appetit auf Eier und rotes Fleisch. Sie hat ihn in der Krankenkassenambulanz kennengelernt.Sie hat ihm Tabletten gegen seinen hohen Cholesterinspiegel verschrieben. Es ist nicht das erste Mal, dass sie sich in einen ihrer Patienten verliebt hat. Wir opfern uns auf, erklärte sie mir mit einem solchen Pathos, dass ich innerlich lachen musste, als ich mir mit ernster Miene ihre Tragödie anhörte. Warum Tragödie? Weil ihr Liebhaber noch nicht frei ist. Er wird erst in einem Monat frei sein. Er hat eine Freundin, und die Freundin wird in einem Monat operiert. Nichts Besonderes, nur eine kleine Operation am Fuß. Aber er ist sehr rücksichtsvoll, er hat ein goldenes Herz, sagt meine Mutter, er hat Mitleid mit ihr und will nicht vor der Operation mit ihr Schluss machen! Das ist der Grund, warum sie ihre Liebe verstecken und warten müssen. Gestern hat sie dramatisch verkündet: Wir haben beschlossen, morgen nicht zu telefonieren. Ich hoffe, dass sie sich jetzt daran erinnert, damit ich dir endlich meine Mail schicken kann.
    Â 
    Manchmal kommt es mir vor, als wäre meine Mutter in der Pubertät und ich in den Wechseljahren. Was sagst du dazu?
    Â 
    Ich muss los. In einer Stunde unterrichte ich. Ich bin froh, dass wir gestern miteinander telefoniert haben, trotz deiner Rüge, dass ich Sascha von uns erzählt habe. Manchmal ist mir deine Stimme wichtiger als das, was du sagst.
    Â 
    Â 
    Freitag, 29. Oktober, 10:01
    Â 
    Deine letzte Mail gefiel mir so gut, dass ich sie dir zurückschicke, damit du sie noch einmal liest. Und auch um meine Mail zu verlängern, weil ich jetzt keine Zeit habe zu schreiben, dir aber mehr als einen Zweizeiler schicken möchte.
    Eva
    Â 
    >Betreff: Regen
    >
    >Plötzlich, Eva, ist es Herbst, und alles ist weicher.
    >Die Farben, die Stimmen, sogar meine Haut und meine Ge-
    >danken.
    >Ich bin müde. Ich möchte mit dir nicht streiten, ich möchte
    >dich nicht überzeugen.
    >Wenn du keine Sehnsucht haben willst, dann lass es.
    >Wenn du mir nicht schreiben willst, dann schreibe nicht.
    >Am Telefon hast du zu mir gesagt: Du musst mich nicht
    >überzeugen.
    >Das ist gut, denn ich bin heute nicht sehr überzeugend.
    >Ich möchte heute auch nichts entscheiden oder mich in die
    >Überlegung versenken, wie viel gemeinsame Zeit wir noch
    >haben.
    >Meine Gedanken sind heute weich, nicht tief.
    >Ich möchte dir nur schreiben, wenn ich Lust dazu habe, mit
    >dir reden, wenn ich Lust dazu habe, und an dich denken,
    >wenn ich Lust dazu habe, also immer.
    >Gibt es eine Gedankenpolizei?
    >Sind bestimmte Gedanken verboten?
    >Wenn du nicht willst, dass ich dir schreibe, dann sag ein-
    >fach, ich soll aufhören.
    >Wenn du mir nicht sagst, ich soll aufhören, werde ich wei-
    >terschreiben.
    >
    >Mein Beileid? Ich konnte das noch nicht einmal lesen. Eine
    >verrückte Frau?
    >Ich wollte mir die Ohren zuhalten. Und all seine Freundin-
    >nen, die nichts voneinander wissen. Ich spürte, dass ich Sa-
    >scha nie treffen möchte. Und der Gedanke, dass Tanja in ihm
    ihren besten Freund sieht. Vielleicht sollte ich an dieser Stel-
    le aufhören, denn ich habe weiche Gedanken versprochen.
    >Es regnet, meine Geliebte. Plötzlich regnet es. Ich sehe den
    >blauen Regen durch das Fenster auf meiner linken Seite. Ein
    >starker Regen, fast brutal, färbt alles blau. Die Second Ave-
    >nue in Manhattan sieht aus wie ein Fluss. Ich öffne das Fens-
    >ter, damit ich den Regen riechen kann. Ist dir aufgefallen,
    >dass der erste Regen einen besonderen Duft hat?
    >
    >Ich erinnere mich, wie wir zu diesem Felsen zurückgingen,
    >von dem aus man die

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