Dunkle Schatten (German Edition)
Lackner und Erharter nehmen
mehrere Tische weiter von ihrem Exkollegen Platz und tun so, als würden sie ihn
nicht bemerken. Dafür haben sie die Köpfe zusammengesteckt und tuscheln. Kaum
fünf Minuten später haben sie bereits wieder ausgetrunken, stehen auf und
verschwinden, ohne nicht vorher brav ihre Tassen auf die dafür vorgesehene
Fläche für benutztes Geschirr zu stellen. Genau darauf lauert Petranko.
Natürlich hat er sich ihre Tassen eingeprägt. Mit einer Papierserviette
geschützt, lässt er die zwei Löffelchen mitgehen und steckt sie ein. Erster
Teil der Mission erfüllt, auf nach Seibersdorf.
*
Wolfgang Presslings spontane Eingebung war goldrichtig. Der Ring passt
auf den gebrochenen Finger, und die winzigen Blutspuren auf dem Schmuckstück
sind eindeutig den bisher gefundenen Leichenteilen zuzuordnen. Die Gravur in
kyrillischer Schrift war leicht zu entziffern und zu übersetzen: Galina, mein
Herz. 27.3.2009. Zumindest ein erster Anhaltspunkt. Ob es sich tatsächlich um
den Vornamen der Toten handelt, lässt sich derzeit nicht eruieren. Ebenso
wenig, ob der Ring dem persönlichen Besitz der Frau zuzuordnen ist.
In der Gerichtsmedizin wird das Alter anhand der vorhandenen Teile auf
achtzehn bis zwanzig Jahre geschätzt. Anhand der Leichenstarre ist sie vor
nicht einmal vierundzwanzig Stunden verstorben. Weder an den Extremitäten noch
am Körper sind Verletzungen festzustellen, sie selbst muss kerngesund gewesen
sein, keinerlei organische Auffälligkeiten oder Krankheiten. Das ergaben die
ersten vorläufigen Untersuchungen.
Der Kopf wurde bisher noch nicht gefunden. Auch die Abnahme der
Fingerprints und ein Vergleich in der Datenbank waren vergeblich gewesen. Die
Frau ist in Österreich nicht straffällig geworden, zumindest ist sie den
Behörden nicht aufgefallen. Tatsache bleibt, sie hatte vor ihrem Tod
Geschlechtsverkehr. In ihrer Vagina und auf den Oberschenkeln fanden sich
Spermaspuren. Keine Spuren spezieller Sexualpraktiken, wie sie im SM-Bereich
üblich sind.
Die Nationalität bleibt weiterhin ungewiss. Natürlich deutet einiges darauf
hin, dass sie aus dem ehemaligen Ostblock stammen könnte, der weibliche Vorname
ist allerdings kein schlüssiger Beweis. Ebenso gut kann sie Österreicherin oder
Staatsbürgerin eines anderen Landes gewesen sein.
Die Tote war vollkommen nackt. An beiden Fundstellen und in den
Müllsäcken konnten weder Kleidungsstücke noch andere eventuelle persönliche
Gegenstände sichergestellt werden. Die einzigen Anhaltspunkte bisher bleiben
der Ring und der Junkie.
Pressling und Cench sind überzeugt, dass er als Mörder nicht infrage
kommt, ebenso wie sie einer Meinung sind, die Tote war mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine illegal eingeschleuste Nutte und ihr letzter Freier der
Mörder.
Der Drogenabhängige war in seinem Dusel in Grinzing gelandet, dachte,
hier wäre etwas zu holen, stöberte in der Mülltonne hinterm Supermarkt, stieß
dabei auf den Leichenfund, entdeckte den Ring, brach den Finger, um den Schmuck
zu stehlen, wollte diesen zu Heroin machen und flüchtete.
Der EGS-Fahnder will den Junkie suchen und ihn nochmals in die Mangel
nehmen. Vielleicht hat er einen lichten Moment, kann sich erinnern und
möglicherweise einen entscheidenden Hinweis liefern. Er möchte sich am liebsten
selbst ohrfeigen, dass er ihn laufen ließ.
Der Junkie konnte sich tatsächlich Geld organisieren, setzte es sofort in
Heroin um, verschwand in der Toilette der U-Bahnstation Taubstummengasse und
setzte sich einen Schuss. Seinen Letzten. Vornübergebeugt, mit herabhängenden
Armen, die Spritze noch in seinem Hals, weil es die einzige Stelle ist, wo sich
noch eine brauchbare Vene befindet, sitzt er leblos auf der Muschel.
In ungefähr dreißig Minuten wird ihn ein Angestellter der Wiener Linien
finden. Bei Durchsuchung der Leiche wird ein zerfledderter, zwei Wochen alter
Überweisungsschein für das Wilheminenspital zum Vorschein kommen, wo er längst
zu einem Entzug hätte erscheinen sollen. In seinen Ohren hängen noch die Hörer
eines iPods. Vielleicht irgendwem gestohlen aus Wut über den abgenommenen Ring?
Der letzte Song, den er hörte war Rehab von Amy Winehouse.
*
Kokoschansky gähnt herzhaft, während er seinen Sohn von der Bank aus, wo
er sich hingelümmelt hat, beim Spielen beobachtet. Inzwischen ist es ein sehr
langer Tag geworden, und der Journalist beschließt, egal, was noch passiert,
sehr früh zu Bett zu gehen. Der Spielplatz ist nur
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