Dunkle Schatten (German Edition)
dürfen.«
»Tu das …«
Günther ist zu Tode betrübt, als sein Vater und Lena sich verabschieden
und nicht einmal Zeit für eine Geschichte bleibt. Lena sitzt in sich
zusammengesunken auf dem Beifahrersitz, das pure Elend. Sie weiß, was sie mit
ihrem unbegründeten Verdacht und ihrer Eifersucht angerichtet hat, kann nur
hoffen, dass Kokoschansky ihr vergibt. Schweigend fahren sie nach Hause. Erst
als er den Motor abstellt, wendet er sich Lena zu.
»Wir werden jetzt ein wenig reden müssen, Lena«, sagt er leise, »lange
reden …«
»Ja«, haucht sie und spürt förmlich die schwarze Wolke, die sich über
ihrem Kopf zusammenbraut.
In der Wohnung geht Kokoschansky zuerst in die Küche und betätigt die
Kaffeemaschine, danach kommt er mit zwei Tassen ins Wohnzimmer und stellt sie
auf dem Tisch ab.
»Wirfst du mich jetzt raus?« Lena blickt zu ihm hoch wie ein bei einem
Streich ertapptes Kind. »Schließlich ist es deine Wohnung.«
»Blödsinn«, winkt Kokoschansky ab, aber er bleibt nach wie vor kühl und
unnahbar, »dieser Trampel weiß gar nicht, was sie mit ihrer hundsgemeinen
Lügerei ausgelöst hat. Nicht nur, dass sie zwischen uns Unfrieden stiftet, sie
lehrt mich nun das Fürchten, was Günther betrifft. Ich habe eine Scheißangst um
den Kleinen, die ich gar nicht beschreiben kann.«
»Was meinst du damit?«
»Ich traue Sonja nicht mehr über den Weg. Diese Frau ist krank, nicht nur
vor Eifersucht. Sie ist zu einer lebenden Zeitbombe geworden. Hast du diesen
Hass in ihren Augen gesehen? Sonja gehört in eine Klinik.«
»Du meinst, sie lässt es Günther spüren?«
»Noch hält sie sich zurück, ich merke auch nicht, dass der Junge
irgendwie leidet. Aber wie lange noch? Ich möchte nicht eines Morgens die
Zeitung aufschlagen und lesen, Mutter tötete ihren Sohn und anschließend sich
selbst.«
»Glaubst du wirklich, sie würde so weit gehen?«
»Ja, ich bin sogar davon überzeugt. Ich spüre instinktiv, sie will sich
etwas antun, damit mich bis an mein Lebensende Schuldgefühle plagen. Günther
ist das geeignete Mittel zum Zweck. Wenn sie Selbstmord begeht, ist das bitter
und traurig, aber, so gesehen, bleibt mir der Bub. Sind beide weg … ach, ich
mag es mir gar nicht ausmalen.«
»Sie hat aber das Sorgerecht.«
»Das weiß ich auch!«, fährt Kokoschansky Lena scharf an.
»Entschuldigung …«
»Tut mir leid. Im Augenblick weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich kann
ihr nicht einmal das Jugendamt auf den Hals hetzen, weil es keinen Grund zum
Einschreiten gibt. Günther fehlt es an nichts, er wächst in geordneten
Verhältnissen auf. Ich kann nur dasitzen und abwarten, erst dann etwas
unternehmen, wenn es zu spät ist.« Verzweifelt vergräbt Kokoschansky sein
Gesicht in seinen Händen.
»Was ist mit deiner Hand?«, fragt Lena zögerlich.
»Nichts weiter«, wischt Kokoschansky ihre Frage beiseite, »nur eine
Lappalie. Nicht der Rede wert. Mir muss schleunigst etwas einfallen, damit ich
Sonja zur Räson bringe und meinen Sohn aus ihren Fängen befreie.« Er hält sich
die Hände vors Gesicht, schüttelt dann den Kopf, steht auf. »Ich muss jetzt
endlich unter die Dusche. Vielleicht habe ich danach wieder einen halbwegs
klaren Schädel.«
Das angenehme warme Wasser zeigt tatsächlich Wirkung und bringt ihn
wieder auf Vordermann. Die Wunde an der Wade ist zum Glück weniger schlimm, als
er ursprünglich angenommen hatte, und die Heilung seiner kleinen
Operationswunde im Schritt macht ebenfalls gute Fortschritte. Für das Bein und
die Hand reichen zwei größere Pflaster. Kokoschansky schlüpft in seinen
Frotteebademantel und kehrt ins Wohnzimmer zurück, wo Lena noch immer
niedergeschlagen am gleichen Platz sitzt.
Er setzt sich neben sie, nimmt ihre Hand und tätschelt sie. »Du bist ein
richtiges Dummerchen, Lena«, tadelt er, »hast du tatsächlich angenommen, ich
fange mir hinter deinem Rücken mit Sonja etwas an? Einfach so? Aus Spaß? Sex
mit der Ex?«
»Ich habe mir so inständig gewünscht, dass es nicht der Fall ist.«
»Du hast von ihr selbst gehört, was Sache ist. Aber ihr geglaubt, als sie
dir dieses Märchen aufgetischt hat.«
»Sie klang so überzeugend.« Lena nagt an ihrer Unterlippe. »Wie geht es
nun mit uns weiter? War es das?«
»Kindskopf.« Zum ersten Mal lächelt Kokoschansky wieder nach längerer
Zeit. »Im Grunde kann ich dich sogar verstehen. Sehr gut sogar. Du weißt alles
von mir, kennst mich in- und auswendig. Ich war nie ein Kind von Traurigkeit.
Ein
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