Dunkle Schwinge Bd. 2 - Der dunkle Pfad
Wunsch, lieber woanders zu sein, nur nicht hier – irgendwo, wo die Sonne nicht so rot war, wo die menschliche Gesellschaft nicht so weit entfernt war und die Mehrheit der Bevölkerung nicht hoch oben in Horsten lebte, die für die Menschen unerreichbar waren. Sie schienen ihre Verachtung nicht sehr gut zu verbergen.
Jackies Ankunft auf Cle’eru war eine willkommene Abwechslung, ihre enge Verbindung zu den Zor hatte etwas Wundersames. Darüber ließ sich voller Erstaunen und auch mit einem recht vagen Entsetzen klatschen. Selbst wenn man wegen ihres Status als Offizier der Navy Seiner Majestät Zugeständnisse machte, war es bemerkenswert, dass es ihr gelungen war, die Linie zu überschreiten.
Jeden Tag, wenn sie vom Sport, von Ausflügen oder einem anderen Zeitvertreib in ihr Hotelzimmer zurückkehrte, quoll der dortige Computer vor Nachrichten über. In erster Linie handelte es sich dabei um Einladungen, doch manchmal fand sich auch die eine oder andere unterwürfige Bitte um einen Gefallen oder um Unterstützung. Erstere zu verschmähen, fiel ihr so leicht wie das Ignorieren der Letzteren. Dennoch sehnte sie sich nach menschlicher Gesellschaft, sodass sie die Gelegenheit wahrnahm, im Haus eines einflussreichen Kaufmanns an dem Tag zu Abend zu essen, an dem auch die Konsulin des Imperiums zugegen sein würde.
Obwohl es sich nicht um einen offiziellen Anlass handelte, entschied sie sich gegen ein Abendkleid und für ihre Offiziersuniform. Sie war sich nicht sicher, ob sie diese Uniform als Mitglied der Zor-Flotte wirklich tragen sollte. Allerdings gab es auf ganz Cle’eru keine Seele, die ihr das Recht hätte streitig machen können. Dementsprechend gekleidet und zudem mit dem Selbstvertrauen gewappnet, das jeder Flaggoffizier besaß, wenn er seine Uniform trug, machte sie sich allein auf den Weg zur Residenz des Kaufmanns, die im von den Menschen bewohnten Teil der Hauptstadt lag, der von Zor umgangssprachlich (und herabwürdigend) als Hu’uren bezeichnet wurde – als ›Unterstadt‹.
»Commodore, ich freue mich ja so, Sie bei uns zu haben.« Während Sir Johannes Xavier Sharpe ihr die Hand schüttelte, hielt sich ein Bediensteter in ihrer Nähe auf, um ihr Mütze und Handschuhe abzunehmen. Sharpes Hand war eiskalt,
was zu der im Haus herrschenden Temperatur passte. Sie hörte das leise Surren einer über Gebühr strapazierten Klimaanlage, was ihre Zähne noch mehr zum Klappern brachte.
»Danke, Mr Sharpe, es ist mir ein Vergn …«
»Oh, bitte, Hansie. Nennen Sie mich Hansie. Das macht jeder. Darf ich Sie Jacqueline nennen? Das ist ein so wunderschöner Name«, redete er rasch weiter, bevor sie ihm sagen konnte, was sie von seinem Vorschlag hielt. Sharpe war ein kleiner, unscheinbar aussehender Mann mit wachsamen Augen. Ihr wurde bewusst, dass ihr der Mann auf Anhieb unsympathisch war.
»Ein französischer Name, nicht wahr? Wir haben uns in den letzten Jahrhunderten solche Mühe gegeben, Homogenität zu schaffen, dass es schwierig geworden ist, sich an die kulturelle Identität unserer Vorfahren zu erinnern. Mein Urururgroßvater Sir Francis Xavier Sharpe« – mit einer ausladenden Geste zeigte er auf ein ausgesprochen hässliches Porträt – »war Engländer, während ich nach meinem Großonkel Johann benannt wurde, der Deutscher war, wie Sie sich vielleicht bereits denken konnten. Einer war in früheren Jahrhunderten der Freund Frankreichs, der andere der Todfeind. Was würden Sie sagen, was das aus uns beiden macht?« Er grinste sie an und bleckte dabei wie ein bemitleidenswerter Fleischfresser seine Zähne.
Völlig Fremde, hätte sie am liebsten spontan geantwortet. »England und Deutschland waren für Frankreich zu verschiedenen Zeiten mal Freund, mal Feind«, erwiderte sie dann aber, während sie sich von ihm in den Salon führen ließ, aus dem ihr unzusammenhängende Gesprächsfetzen entgegenkamen. »Genaugenommen stamme ich von Dieron, Mr Sh … Hansie. Daher würde ich sagen, wir können einfach bei null anfangen.«
»Hervorragend! Gut pariert.« Lächelnd klatschte er in die Hände. »Wirklich gut pariert, Madam. Ihr Ruf wird Ihnen eigentlich gar nicht gerecht. Gestatten Sie mir, dass ich Sie der Konsulin vorstelle. Oh, entschuldigen Sie mich bitte«, fügte er dann an, ehe Jackie auf seine letzte Bemerkung etwas erwidern konnte. Mit einem Rauschen von Protoseide und einer Geste hin zu einer großen blonden Frau, auf deren Kleid sich auf dem linken Busen ein unauffälliges Emblem
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