Dunkle Schwinge Bd. 2 - Der dunkle Pfad
spricht dafür, dass wir keines der Schiffe wiedersehen werden.«
Sergei sprach von einem Feind. Für Jackie war ein ›Feind‹ schnell und einfach definiert: ein Widersacher, meistens bewaffnet, dessen Absichten denen seines Gegenübers zuwiderliefen. Die bewaffneten Streitkräfte des Imperiums existierten, um es mit Feinden aufzunehmen. Doch ihr war auch klar, dass Sergei nicht davon sprach. Für ihn war der Feind ein schattenhaftes, fast mystisches Ding. Ihrer eigenen Intuition folgend kehrte Jackies Geist zu jenem Schrecken zurück, den sie zusammen mit Ch’k’te als Vision erlebt hatte: zu den tentakelbewehrten Geschöpfen aus ihrem Albtraum.
Der Feind. Der wahre Feind.
Sie brachte keinen Ton heraus. Es war, als würde Sergei sie zum Schweigen zwingen. Sie dachte, die Menschheit habe ihre Angst vor der Dunkelheit überwunden, die Angst vor dem, was genau jenseits der engstirnigen Wahrnehmung lauerte. Die Zor hatten dieser Dunkelheit den Namen esGa’u gegeben, der Täuscher. Die Menschen hatten den Feind einfach mit logischen Folgerungen wegargumentiert.
Und doch war er immer noch da.
Weitgehend schweigend legten sie per Shuttle den Weg in den Orbit zurück. Es fiel Jackie schwer, sich nur beiläufig mit dem Gyaryu’har zu unterhalten. Das hatte nichts mit Wortkargheit von seiner Seite zu tun, vielmehr wurde ihr bei allem, was sie sagen wollte, eine gewisse Zweideutigkeit bewusst. Automatisch begann sie zu überlegen, wie er jedes ihrer Worte auslegen würde.
Das alles war zu viel für sie. Der ältere Mann schien zu versuchen, sie dazu zu bewegen, dass sie auf der Grundlage der vorhandenen Daten irgendeine Schlussfolgerung zog. Sie hatte gedacht, sie würde die Zor verstehen, diese Spezies mit ihrer sonderbaren, zu Vorsehungen neigenden Kultur und ihrer mystischen Betrachtungsweise des Universums. Und sie hatte gedacht, sie würde das Unbekannte ebenso verstehen wie die Art, auf die man es erforschte. Sie glaubte, gelernt zu haben, wie man die Weite des Alls erfassen konnte, vor allem jene scheinbar unendlichen Gebiete jenseits der Territorien, die von Menschen und Zor erkundet worden waren. Es kam einer schrecklichen Erkenntnis gleich, als Jackie begriff, dass sie eigentlich überhaupt nichts verstanden hatte.
Allerdings konnte sie Admiral Tollivers Einstellung nachvollziehen. Es war wirklich schwer, eine vernünftige militärische Planung vorzunehmen, die auf den Träumen des Hohen Lords basierte, vor allem da es sich bei ihm um Ke’erl HeYen handelte. Es hieß, der Hohe Lord sei verrückt, und sogar Ch’k’te hatte ihr seine Angst anvertraut, die Zor würden womöglich von einem – welches Wort hatte er benutzt? – alGa’u’yar geführt. Dekadent und schwach, und damit weit entfernt von allem, was man von einem Krieger erwartete. Eine schmeichelhafte Einstellung war das ganz sicher nicht.
Doch aller – tatsächlichen oder mutmaßlichen – Fehler zum Trotz war Ke’erl HeYen ein mächtiger Fühlender, vielleicht sogar der mächtigste, der momentan lebte. Bislang hatte Jackie diese Aspekte genauso wie alle übrigen Erkenntnisse über die Zor einem Bereich ihres Verstands zugeordnet, in dem unlogische und irrationale Wahrnehmungen gesondert von allem anderen existieren konnten. Für einen Navy-Offizier war es nicht angebracht, aufgrund solcher Dinge ein Urteil zu fällen. Die Vorstellung, Derartiges in Erwägung zu ziehen, machte ihr mehr Angst, als sie sich selbst eingestehen wollte. Einen Feind konnte sie begreifen, nicht aber den bösen schwarzen Mann – der ängstigte sie nur.
Doch viel erschreckender war die Vorstellung, er könnte tatsächlich existieren.
Ein Besuch im Monat im Operations Center war für Jackie normalerweise das Äußerste. Auch wenn es immer wieder ein Vergnügen war, dort eine Inspektion vorzunehmen, war die anschließende Abreise fast genauso erfreulich. Kommandant Bryan Noyes war in vieler Hinsicht die Verkörperung eines Stabsoffiziers: ein intelligenter, gründlicher und anspruchsvoller Mann, der viel verlangte und der seit bestimmt zehn Jahren keine Waffe mehr angefasst hatte. Als man sie hierher versetzte, war Jackie von ihrem Vorgänger über ihn informiert worden. »Noyes«, hatte der alte Befehlshaber gesagt, »ist eine Nervensäge, aber er ist die beste Nervensäge in der gesamten Flotte seiner Majestät.« Er hatte nicht übertrieben.
Entsprechend ihrem vor ein paar Tagen erteilten Befehl befand sich das Operations Center in höchster
Weitere Kostenlose Bücher