Dunkle Schwinge Bd. 2 - Der dunkle Pfad
T’te’e«, sagte sie und neigte leicht den Kopf. Sie besaß keine Flügel, um eine Pose der Hochachtung zu zeigen, was es ihm nur noch mehr erschwerte, sie zu begreifen. Er wusste, sie war eine Kriegerin vom Volk von esHu’ur, weshalb er akzeptieren konnte, dass sie ehrbar war. Doch da sie nicht Teil des Flugs des Volkes war, verstand er nicht, welche Pflichten sie hatte. Soweit ist es jetzt gekommen, dachte er. Hatten se S’reth und si Th’an’ya das vorhergesehen?
»se Commodore. Ich heiße Sie im Hohen Nest willkommen«, erwiderte er dem Ritual entsprechend. Wohin er reiste, dorthin reiste auch das Hohe Nest.
»Danke, Sir. Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen und an der Prüfung teilnehmen zu dürfen.«
»Das ist die Entscheidung meines Bruders se Ch’k’te, nicht meine.«
»Sir?«
»Es kommt selten vor, dass irgendein naZora’e an dieser Art von Ereignis teilnimmt, Commodore. Ich hatte meinem Bruder dringlichst davon abgeraten. Wäre es meine Entscheidung, hätte ich es untersagt.«
Er spürte, wie ihm von ihr starke, konturlose Wut entgegenschlug.
»Wollen Sie mir damit sagen, ich sollte mich besser zum Teufel scheren?«
»So etwas könnte ich Ihnen nicht sagen, ohne idju zu werden.«
»Ich glaube, das verstehe ich nicht so ganz.«
»se Ch’k’te sagte … er würde den Äußeren Frieden überwinden, sollte ich Ihre Teilnahme untersagen. Ihm sein Recht zu verweigern – vor allem unter solchen Umständen –, hätte mich entehrt. Deshalb habe ich es ihm gestattet.«
Ihre Wut ebbte ein wenig ab. »Das hat er gesagt?«, fragte sie.
T’te’e neigte den Kopf und stellte seine Flügel so, dass sie den Schwur der Wahrheit vor esLi ausdrückten. Sie schien das nicht zu bemerken.
»Dann darf ich bleiben, obwohl es Ihnen nicht gefällt.«
»Meine Gefühle in dieser Angelegenheit sind für unbedeutend erklärt worden.«
»Ich bezweifle, dass sie so unbedeutend sind, sonst hätten Sie sie nicht zur Sprache gebracht«, konterte sie. »Sie sagen mir, ich gehöre nicht hierher, und Sie wären überglücklich, wenn ich mich freiwillig zurückziehen würde, weil Ch’k’te sich nicht beugen will. Ich glaube, Ihre Gefühle sind sogar alles andere als unbedeutend, seT’te’e. Ich soll Ihnen mein … hsi … anvertrauen. Nach allem, was ich auf Cicero durchgemacht habe, gefällt mir die Aussicht nicht, das angesichts solcher Feindseligkeit zu tun.«
»›Feindseligkeit‹ ist nicht das richtige Wort«, erwiderte der Zor. Er schloss die Augen und kauerte eine Zeit lang auf seiner Stange, während Jackie dastand und gegen ihren Zorn ankämpfte. Sie konnte etwas von ihm empfangen … war es Abscheu? Nein, es erschien ihr mehr wie … Verwirrung.
»Und welches ist das richtige Wort?«
T’te’e schlug die Augen auf und sah sie wieder an. Diesmal schien der stolz erhobene Kopf herabzusinken. »›Besorgtheit‹ ist eine treffendere Beschreibung dessen, was ich empfinde. Vielleicht wäre sogar ›Angst‹ angemessen, allerdings kann ich durch meine Ausbildung den größten Teil meiner Angst verdrängen.« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Ich sah, was der Hohe Lord gesehen hat, se Commodore Laperriere. Ich verstehe, warum er allmählich den Verstand verliert, so wie vor ihm sein Clanvater h'k'i Sse’e. Er weiß mit entsetzlicher Gewissheit, dass esGa ’us Heerscharen die Macht besitzen, alles zu vernichten, was die Zor und ihre menschlichen Freunde aufgebaut haben, und zwar auf eine Weise, gegen die die Eroberungen von esHu’ur nichts sind.«
»Aber Marais … ich meine esHu’ur … hat doch Ihr Volk fast ausgelöscht.«
»Es gibt schlimmere Schicksale als den Tod, se Commodore.«
»Dessen bin ich mir bewusst, se Kämmerer.« Sie bemerkte, wie er die Haltung seiner Flügel veränderte, verstand aber nicht die Bedeutung dieser Geste.
»Aber Sie verstehen es nicht so wie einer vom Volk.«
»Ich …« Wieder regte sich Wut in ihr. »Ich verstehe es besser, als Sie es sich vorstellen können, seT’te’e. Diese anderen drangen in meinen Geist ein, und auch in den von Ch’k’te. Ich habe mein hsi mit dem von Ch’k’te verbunden. Ich wurde an der Eiswand zerschmettert. Erzählen Sie mir also nicht, ich würde es nicht verstehen.«
Bei der Erwähnung der Eiswand schauderte T’te’e leicht, als hätte er einen kalten Luftzug verspürt.
Vielleicht, überlegte er, habe ich sie unterschätzt se Ch’k’te ist einer vom Volk, Er weiß sehr genau, was kommen wird. Wenn er
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