Dunkle Schwinge Bd. 2 - Der dunkle Pfad
wieder sie an. »Ich habe ihm gesagt, was ich davon halte«, fügte sie rasch an, da sie fürchtete, er könnte jeden Moment die Krallen ausfahren.
»Hat er Ihre Ehre berührt?«
»Nein. Außerdem hat er sich anschließend entschuldigt. Er ist mit meiner Teilnahme einverstanden, und ich bin bereit.«
Wieder schaute er kurz den Kämmerer an. »esLiHeYan « , sagte er dann zu ihr. Auf den immerwährenden Ruhm von esLi.
»Ich weiß nicht, wie sich diese Prüfung gestalten wird«, erklärte er Jackie und sah zu Boden. »Der Kämmerer ist verpflichtet, sich und damit auch das Hohe Nest davon zu überzeugen, dass ich keine Verfehlung begangen habe, die mich zum idju machen könnte … Nein, lassen Sie mich erst ausreden«, sagte er rasch, als sie zu protestieren versuchte. »Sie haben sich bereit erklärt, meinetwegen alles aufzugeben, sogar die Kontrolle über Ihr hsi. Ich glaube, das macht Sie zu einem außergewöhnlichen Menschen. Aber Sie sind noch immer nicht mit unserer Kultur vertraut, und ich kann Ihnen versichern, dass ich eine Verfehlung begangen haben könnte, die Sie nicht verstehen. Wenn der Kämmerer eine Verfehlung meinerseits feststellt, dann muss ich mich seinem und esLis Urteil unterwerfen.« Er blickte über die Schulter zum Tonis. »Ganz gleich, was Sie in dieser Sache empfinden – Sie müssen sich der Weisheit dieses Urteils ebenfalls unterwerfen.«
»Ich … ich verstehe.«
»Tatsächlich? Sie werden mich nicht zum Leben verurteilen, wenn ich idju bin, se Jackie. Ich werde den Äußeren Frieden überwinden, und Sie dürfen mich nicht daran hindern.«
»Wie könnten sie Ihnen ein Fehlverhalten nachweisen?«
In seinen Augen spiegelte sich eine Bandbreite von Gefühlen wider, als er sie erneut ansah. »Das weiß ich nicht.«
Es fiel ihr noch immer schwer, ihre Barrieren zu senken und ihr hsi einem anderen zu offenbaren. Die ersten Berührungen mit den Geistesranken des Kämmerers fühlten sich fremd und feindselig an, obwohl sie sanft waren. Eine Frage des Vertrauens, sagte sie sich. Er hat genauso viel Angst wie du.
Sie zwang sich dazu, ihn in ihr Bewusstsein eindringen zu lassen. Es dauerte nicht lange, da fühlte sie sich, als würde sie schweben oder auf einem Ozean treiben, der sie mit jeder Welle sanft aufwärts und abwärts trug, aufwärts und abwärts, auf und ab …
In der Nähe nahm sie Ch’k’tes vertraute Präsenz wahr, zusammen mit dem kraftvollen Muster des Hohen Kämmerers. Doch da war noch jemand, hinter oder über ihnen, der seine Gegenwart kaum erkennen ließ – eine mächtige, alles umfassende Präsenz, irgendwo dort hinter dem Tonis, der einige Meter von ihr entfernt hing.
esLi?, fragte sie leise.
esLi, sagte der Kämmerer. esLi befiehlt, dass die Reise und damit die Prüfung beginnt esLiHeYar, sagte Ch’k’te.
Ich bin das Schwert des Hohen Nestes.
Wieder ertönte ein Gong, diesmal sehr weit entfernt, und hallte in Jackies Bewusstsein nach.
Ich bin der gyu’u des Herrn esLi.
Gong.
Ich erhebe meinen Kopf zur Sonne und betrachte das Land meiner Clanväter. Ich suche den Horizont ab und halte Ausschau nach esGa’us Heerscharen. Auch wenn die sengende Sonne meine Haut verbrennt …
Gong.
Auch wenn sie meine Flügel versengt, bis sie geschwärzt herabsinken …
Gong.
Auch wenn mich der Wahnsinn des Tageslichts berührt, werde ich meiner Pflicht treu bleiben.
Gong.
Ich bin das Schwert.
Gong.
Ich bin die Klaue.
Gong.
Ich bin…
Gong.
Ich
Gonggggggggg …
Etwas veranlasste sie dazu, die Augen zu öffnen. Noch bevor sie das aber tat, wusste sie bereits, sie würde nicht länger im Raum des Hohen Kämmerers auf der Raumbasis Adrianople sein. Ch’k’te hatte sie gründlich auf die Konstrukte vorbereitet, die ein Fühlender schuf, um für die inneren Konflikte und die Begegnung der Bewusstseinssphären einen Ort zu schaffen.
Was sie dann aber sah, war so lebendig und atemberaubend, dass sie noch einmal kurz die Augen schließen musste, um sich Gewissheit zu verschaffen, dass sie das wirklich gesehen hatte. Es war noch schöner als das, was Th’an’ya bei der Geistverbindung auf Cicero geschaffen hatte.
Sie stand am Rand eines großen, aus Kacheln bestehenden Kreises, der in den Fels eines Ausgucks auf einer hoch aufragenden Klippe eingelassen war. Sie hatte einen atemberaubenden Blick auf eine Gebirgslandschaft, die unglaublich realistisch und detailliert dargestellt und in das Licht einer orangeroten Sonne getaucht war. Wenn sie die pastellfarbenen,
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