Dunkle Seelen
Dinge reden, hm? Ich will hören, was du in diesem Trimester bisher getrieben hast. Irgendwelche netten Jungs? Was ist eigentlich mit diesem Ran...«
»Ähm, da gibt es nichts zu sagen«, unterbrach sie ihn mit einem leicht gezwungenen Lächeln.
»Ah.« Patrick nickte. »Kein Problem! Ich werde mich an sicherere Themen halten. Wie ist denn das Gebäude, in dem die Akademie untergebracht ist? Als ich noch Schüler war, sind wir nie in Istanbul gewesen.«
Cassie lächelte, erleichtert, dass er sie in puncto Beziehungen nicht länger bedrängte. »Tatsächlich ist es ziemlich spektakulär. Zum Cranlake Crescent ist es jedenfalls ein himmelweiter Unterschied.«
»Das bezweifele ich nicht! Ich will alles darüber hören und gerne auch noch ein wenig Klatsch über die Lehrer. Einige von ihnen waren schon zu meiner Zeit an der Akademie, musst du wissen.«
»Ja, die mit den Spinnweben an den Augenbrauen kennst du vielleicht noch«, witzelte sie.
»Hey! So alt bin ich nun auch wieder nicht!«
Patrick begann aufzuzählen, welche Lehrer er an der Akademie gehabt hatte, und Cassie seufzte zufrieden. Wenigstens etwas war geklärt. Während sie über Patricks respektlose Bemerkungen kicherte, stellte Cassie mit immenser Erleichterung fest, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Gott sei Dank hatte sie diese SMS geschickt. Es war genau das, was sie brauchte: eine Verbindung zu ihrem alten Leben. Sie würde nur wegen ihres Neuanfangs weder ihr altes Leben noch Patrick vergessen. Er war ihre Familie.
Jetzt musste sie sich nur noch Ranjit endgültig aus dem Kopf schlagen und alles würde gut sein...
KAPITEL 6
Das lange Wochenende, das Patrick in Istanbul verbracht hatte, war im Nu verflogen. Bevor Cassie wusste, wie ihr geschah, hatte sie ihn auch schon zum Flughafen begleitet. Aber so schön es auch mit ihm gewesen war, verspürte Cassie doch eine seltsame Freude darüber, sich wieder voll in das Leben der Akademie hineinzustürzen. Als sie durch den Innenhof ging, reichte schon das Plätschern des Springbrunnens, damit ihr in der sommerlichen Hitze ein wenig kühler wurde. Mit einem Stapel Bücher im Arm blieb sie stehen und schaute lächelnd zu der Statue von Leda und ihrem Schwan empor, die sich gegen den Himmel abzeichnete. Sie hatte das arme Mädchen, das von diesem wilden, schönen Vogel verführt wurde, mehr und mehr ins Herz geschlossen. Cassie wusste genau, wie es sich fühlte...
Nein, sagte sie sich energisch. Leda hätte diesem Schwan den Laufpass geben sollen. Oder besser noch, sie hätte ihm seinen mageren Hals umdrehen sollen.
Sie jedenfalls hätte Ranjit gern den Hals umgedreht, so viel stand fest. Schon komisch, dass sie in den letzten Tagen trotz all seiner grandiosen Rechtfertigungen kaum eine Spur von ihm gesehen hatte. Seine neue Liebe zu ihr hinderte ihn offensichtlich nicht daran, seiner alten Gewohnheit nachzugehen und die Hälfte seiner Kurse zu schwänzen. Vielleicht war er wie Indiana Jones losgezogen, auf der Suche nach der Lösung für all ihre Probleme. Ja, klar.
»Cassie!«
Sie drehte sich um und war selbst überrascht von dem aufrichtigen Glücksgefühl, das sie überkam, als sie sah, wer da über den Innenhof auf sie zuschlenderte. Richards unverschämtes Grinsen war ansteckend, und sie konnte nicht umhin, es zu erwidern. Als er Anstalten machte, ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, schien er ein wenig überrascht zu sein, dass sie ihm nicht auswich.
»Du hast ausgesehen, als hättest du da drin ein wenig zu kämpfen gehabt«, witzelte sie und deutete auf das Klassen zimmer von Herrn Stolz.
»Verdammt, das kannst du wohl sagen«, erwiderte er und lockerte dabei demonstrativ seinen Hemdkragen, als bekäme er nicht genug Luft. »Mathe war heute das reinste Fegefeuer, Bell. Ich weiß einfach nicht, wie du das schaffst.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Hättest du dich vorbereitet, Kumpel, wäre es nicht so schwer gewesen.«
»Stimmt. Dann hätte Stolz vielleicht auch nicht so ein Theater gemacht. Wie dem auch sei - genug zum Thema täliche Schinderei«, sagte er und schaute zu der glänzenden Bronzeskulptur empor. »Sieh dir diese Statue an. Meinst du nicht, Io wäre hier passender gewesen als Leda? Ich weiß nicht, ob du die Geschichte kennst, aber der ungezogene Zeus musste sich hier in Istanbul für eine Menge rechtfertigen...«
»Zufällig kenne ich die Geschichte tatsächlich«, warf Cassie mit einem selbstgefälligem Lächeln ein. »Zeus, der alte Knacker, hat Io verführt, aber
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