Dunkle Seelen
Ranjit spukte immer noch in Cassies Kopf herum. Seine Liebeserklärung hatte sie ver ärgert. Sie musste sich zusammenreißen und sich wieder ihrem Projekt »neue Cassie, neue Einstellung« widmen. Sie füllte das Marmorbecken in ihrem Badezimmer bis zum Rand mit kaltem Wasser und tunkte ihr Gesicht hinein. Die Kälte raubte ihr den Atem, und sie zwang sich, den Kopf vollständig unter Wasser zu tauchen. Sie würde ihn aus dem Kopf bekommen, selbst wenn sie ihn heraus waschen musste.
Unter Wasser hörte sie einen vertrauten Klingelton. Ächzend riss sie den Kopf hoch, sodass das Wasser nur so spritzte.
»Hallo?«, jaulte sie. Das Telefon rutschte ihr beinahe aus der nassen Hand. Sie bekam es gerade noch zu fassen, bevor es auf den Boden fiel, und drückte es abermals ans Ohr.
»Cassie? Ich bin’s, Patrick.«
Sie schnappte nach Luft. »Patrick! Du bist hier!«
»Ja.« Einen Moment lang klang er besorgt, als könne Cassie, obwohl sie seinem Besuch zugestimmt hatte, ihre Meinung geändert haben. »Du hast doch nicht vergessen, dass mein Flugzeug heute in Istanbul gelandet ist...?«, fragte er und lachte nervös.
»Nein! Nein, natürlich habe ich es nicht vergessen«, log Cassie. Auch daran war nur Ranjit schuld, dachte sie erbittert. »Ich habe mir nur gerade, ähm, die Haare gewaschen.«
»Wunderbar. Dann kannst du dich ja endlich sehen lassen, hm? Wollen wir heute Abend zusammen essen? Treffen wir uns hier im Hotel?«
»Keine Ahnung.« Sie grinste breit. »Wie viel willst du denn ausgeben?«
»Ich hatte an einen Fünfpfundschein gedacht.«
»Wow, den ganzen Jahreslohn, was?«, lachte sie.
»Ha, ha«, erwiderte Patrick sarkastisch. Dabei konnte sie hören, wie er lächelte und sich entspannte. »Es ist wirklich schön, deine Stimme zu hören, Cassie. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Ich meine, vorausgesetzt, dass das ein Ja war. War es doch, oder?«
Cassie kicherte abermals. »Sollen wir uns um sieben treffen?«
»Hey, Cassie.« Er breitete die Arme aus und grinste.
»Kenne ich dich?« Cassie legte die Stirn in Falten, dann erwiderte sie sein Lächeln und umarmte ihn fest. »Du hast mir gefehlt. Gott weiß, warum. Ich hab zwar keine Ahnung, wer du bist, aber vermisst habe ich dich trotzdem« Es überraschte sie, wie schön es war, Patrick endlich wiederzusehen. In ihrem Bauch flatterten Schmetterlinge und ein warmes, erleichtertes Glühen breitete sich in ihr aus.
Das Hotel war ziemlich elegant und modern und hätte überall auf der Welt stehen können. Es war ein wenig charakterlos, aber wen kümmerte das schon? Patrick war da. Patrick mit seinen strahlend blauen Augen und den Lachfältchen darum herum - ganz wie immer. Er hatte sich sogar in Schale geworfen. Sein blaues Hemd hatte tatsächlich einen Kragen. Allerdings sah es trotzdem so aus, als sei er geradezu mit religiöser Inbrunst dagegen, irgendetwas zu bügeln.
»Hör mal«, sagte sie, plötzlich wieder verlegen. »Bevor wir hineingehen, möchte ich nur sagen, ähm, dass es mir leidtut, dass ich für eine Weile den Kontakt zu dir abgebrochen habe.« Sie warf ihm einen kläglichen Blick zu.
»Oh Gott, entschuldige dich nicht. Es war meine Schuld, Cassie.« Er umarmte sie abermals. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass... dass dir all das zustoßen würde. Das weißt du doch, oder?«
Sie hakte sich bei ihm unter und betrat an seiner Seite das Restaurant. »Ich weiß. Aber ich war trotzdem ein wenig sauer auf dich. Ich kam nicht dagegen an.«
»Schon gut. Du hattest das Recht, wütend zu sein.« Er rieb sich erschöpft die Stirn. »Ich wusste, was es mit der Akademie auf sich hatte, aber man hatte mir versprochen, dass kein Stipendiat jemals ein Auserwählter werden würde. Das ist noch nie vorgekommen. Es war eine so strenge Regel, ich hätte nie gedacht...«
»Hmm. Stipendiaten sollten zwar keine Auserwählten werden, aber häufig dienen sie ihnen als >Nahrung<. Ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht als Lebensquelle enden würde?«
»Doch, die Möglichkeit habe ich in Betracht gezogen.« Er fuhr sich schuldbewusst übers Gesicht. »Aber als ich an der Akademie war, hatte ich mit meinem Mitbewohner Erik wirklich gute Erfahrungen gemacht. Er war ehrlich und anständig und hat mich nie hintergangen. Ich habe ihm gerne geholfen und er hat mein Vertrauen niemals missbraucht. Wahrscheinlich war ich naiv; wahrscheinlich dachte ich, es wäre immer so.«
»Aha.« Sie erlaubte dem Oberkellner, einen Stuhl für sie
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