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Dunkle Sehnsucht

Dunkle Sehnsucht

Titel: Dunkle Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeaniene Frost
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verdammt noch mal erste Mensch, dem ich irgendetwas bedeutet habe, der an meine Geburtstage gedacht und mir Karten geschickt hat. Der sich denken konnte, dass ich die Feiertage allein verbringen wür-de, wenn er nicht vorbeikam und vorgab, etwas Dienstliches mit mir besprechen zu wollen. Da hast du ihn noch nicht einmal gekannt.« Tate war so außer sich, dass seine Stimme belegt klang. »Ich würde jederzeit für diesen Mann töten und sterben. Bilde dir also bloß nichts ein.«
    »Und warum lässt du ihn dann einfach krepieren ?«, wollte ich wissen. Beim letzten Wort brach meine Stimme, so groß war mein Schmerz.
    »O Cat.« Tate seufzte und sackte in sich zusammen, als hätte ihm jemand die Luft abgelassen. »Weil die Entscheidung nicht bei mir liegt. Don muss sie treffen, und das hat er. Sein Entschluss gefällt mir nicht, ich heiße ihn auch nicht gut, aber ich muss ihn verdammt noch mal respektieren.«
    Und du auch, konnte ich ihn fast sagen hören, obwohl er es nicht tat. Ich sah zum Zimmer meines Onkels am Ende des Flurs und hörte das Piepsen des EKG-Geräts, das sehr unregelmäßig klang.
    »Ich werde deine Mutter schleifen, bis sie begriffen hat, dass sie einen Befehl nicht einfach ignorieren kann, Cat.«

    Tate hob die Hand, als wollte er mich berühren, ließ sie dann aber wieder sinken. »Und obwohl mir ihr Verhalten miss-fällt, bin ich froh, dass du es noch rechtzeitig geschafft hast«, fügte er hinzu und wandte sich mit inzwischen ebenfalls glänzenden Augen ab.
    Mein Zorn sackte in sich zusammen. Es wäre mir leichter gefallen, daran festzuhalten, mich in meinen Groll über Tate und alles, was mich je an ihm genervt hatte, hineinzustei-gern. Aber es wäre doch nur der Versuch gewesen, mich über meinen Kummer hinwegzutäuschen. Tate liebte Don auch, das wusste ich. Es war mir sogar bewusst gewesen, als ich ihm unterstellt hatte, er wäre für ihn nicht mehr als ein Vor-gesetzter. Abgesehen von mir litt Tate im Augenblick wohl am meisten, aber er bewältigte seinen Kummer, wie er es immer tat — wie ein guter Soldat. Und auch ich bewältigte meinen Schmerz wie immer - indem ich voller Wut und Unglauben vor ihm davonlief. Wenn man uns beide so ansah, hatte ich also am allerwenigsten Grund, in puncto Trauer-arbeit große Töne zu spucken.
    Langsam streckte ich die Hand aus, ließ sie über Tates Wange gleiten und spürte die kurzen Bartstoppeln, die mir sagten, dass er sich heute nicht rasiert hatte; dabei legte er doch sonst so großen Wert auf eine militärisch korrekte und tadellose Erscheinung.
    »Don liebt dich auch«, flüsterte ich.
    Dann ließ ich Tate stehen und strebte dem Zimmer meines Onkels entgegen.

    Ich wusste, wie kritisch Dons Zustand war. Dass er bereits tot wäre, hätte meine Mutter nicht in letzter Sekunde einge-griffen. Aber bevor ich sein Zimmer betrat und alles Leugnen zwecklos wurde, hatte ich trotz allem irgendwie nicht akzeptieren können, dass er im Sterben lag.
    Ausschlaggebend war nicht die bläuliche Blässe in Dons Gesicht, als er so dalag. Auch nicht der Patientenkittel, den er bisher nicht hatte tragen wollen, das EKG-Gerät, das seinen erschreckend niedrigen Blutdruck anzeigte, oder der schwere Geruch, von dem ich inzwischen wusste, dass er vom Krebs ausging. Nicht einmal sein unregelmäßig schlagendes Herz war es, das mir bewusst machte, dass ich meinen Onkel gerade zum letzten Mal sah. Nein, es war das Rollschränkchen, das man in eine Zimmerecke geschoben hatte - weder Telefon noch Laptop noch Akten lagen darauf -, das mir das Herz zerriss wie mit tausend Silbermessern.
    Vor ein paar Tagen noch hast du mit ihm geredet! , rief eine Stimme in mir. Wie hatte das alles nur so schnell gehen können?
    Ich verkniff mir das Schluchzen, das sich mir entringen wollte, trat an Dons Bett und fuhr ihm ganz sacht mit der Hand über den Arm. Ich fürchtete, meine Gegenwart könnte ihn aufwecken, und hatte ebenso große Angst davor, dass sie es nicht tat. Er war an ein EKG-Gerät angeschlossen, und in seiner Nase steckten Schläuche, aber er atmete selbständig in flachen Zügen, die ihm nicht genug Sauerstoff zuführten, wie man an seiner blassen Haut erkennen konnte.

    Eine halbe Stunde lang saß ich stumm da und beobachtete ihn, während ich mir die Zeit seit unserer ersten Begegnung bis jetzt in Erinnerung rief. Wir hatten gute und schlechte Tage gehabt, aber die Fehler der Vergangenheit verblassten angesichts der Überzeugung, dass Don immer versucht hatte, das Richtige

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