Dunkle Sehnsucht
ihr keine Chance, etwas zu sagen. Er packte sie am Arm, zog sie in den Flur und erklärte ihr alles so leise, dass Don nichts mitbekam, wobei er ihr schlimmstes Unheil androhte, für den Fall, dass sie auch nur ein Wort des Protests äußerte.
Ich war froh, dass Don wieder die Augen geschlossen hatte, weil ich so nicht mehr dagegen ankämpfen musste, in Tränen auszubrechen. Tate konnte der Vorstellung, mit ansehen zu müssen, wie ich Bones zum zweiten Mal die Treue schwor, noch weniger abgewinnen als meine Mutter. Aber hier stand er und forderte sie in strengem Tonfall auf, sich anständig zu benehmen, Herrgott noch mal, und Don nicht den Augenblick zu ruinieren, weil ihm nicht mehr viel Zeit blieb.
Was grausam offensichtlich war. Der Atem meines Onkels ging immer schwerer, und aus seinen Gedanken wusste ich, dass er das Gefühl hatte, ihm würde ein Auto die Brust eindrücken, aber er hatte den festen Willen, noch lange genug durchzuhalten, um diese letzte Sache zu Ende zu bringen.
Aufgeregt begann das EKG-Gerät zu piepsen, als könnte ich nicht aus Dons Gedanken und dem sporadischen Schlagen seines Herzens schließen, was los war. Noch mehr Tränen liefen mir über die Wangen, ein steter Strom, der mir das Top durchnässte und den Fußboden unter mir immer dunkler rosa färbte.
Ich nahm die Hand meines Onkels, fand es schrecklich, wie kühl sie durch den rapide abfallenden Blutdruck geworden war, und drückte sanft seine Finger.
Bones legte die Hand auf meine, und ich hatte das Gefühl, seine Stärke würde aus ihm heraus- und in meinen Körper hineinfließen. Was für ein krasser Gegensatz zu Dons rasch dahinschwindender Lebenskraft und seinen kälter werdenden Fingern.
»Donald Bartholomew Williams«, sagte Bones feierlich.
Das »Bartholomew« überraschte mich. Dons vollen Namen hatte ich noch nie gehört. Klar, dass Bones ihn kennt, dachte ich vage, während ich versuchte, ein Schluchzen über Dons zunehmend unsteter werdenden Herzschlag zu unterdrü-
cken. Bones hatte umfassende Nachforschungen über Don angestellt, als er herausgefunden hatte, dass er der Mann war, der mich dazu gezwungen hatte, all die Jahre für seine Einheit zu arbeiten.
»Gibst du mir deine Nichte, Catherine, zur Frau?«, fuhr Bones fort und ließ kurz die Finger über Dons Hand gleiten.
Die Augen meines Onkels öffneten sich, sein Blick ging zu mir, Bones und dann Tate, der noch immer in der Tür stand.
Mir war bewusst, wie groß Dons Schmerzen waren und dass es ihn sichtbare Mühe kostete, aber er brachte trotzdem ein Lächeln zustande.
Als seine Hand sich schließlich um meine schloss, wurden seine Schmerzen unerträglich, was ich an dem plötzlichen Aufschrei seiner Gedanken erkennen konnte. Sein ganzer Körper versteifte sich, und sein Mund öffnete sich zu einem kurzen, scharfen Keuchen - dem letzten, das er je aussto-
ßen würde. Dons Augen, grau wie meine, verdrehten sich nach hinten, während aus den Piepsern des EKG-Apparats ein einzelner anhaltender, grässlicher Ton wurde.
In einem Wimpernschlag durchquerte Tate das Zimmer und packte das Bettgitter so fest, dass es in seinen Händen zerbrach. Das war das Letzte, was ich sah, bevor alles hinter einem pinkfarbenen Schleier verschwamm und ich den Schluchzern freien Lauf ließ, die ich die ganze Zeit über zu-rückgehalten hatte.
Doch selbst als der tödliche Herzinfarkt Don schon fest im Griff hatte, erwies sich der Wille meines Onkels noch als stärker als sein gebrechlicher Körper. Er hatte sich geschworen, lange genug zu leben, um mich Bones zur Frau geben zu können, und er schaffte es, auch wenn Bones und ich die Einzigen waren, die es wussten.
Dons letzter Gedanke war ein einziges, in die Länge gezogenes Wort.
Jaaaaa .
Bones hielt mir die Tür auf, und ich betrat das, was streng genommen unser Zuhause war, obwohl wir im vergangenen Jahr kaum dort gewesen waren. Mein Kater teilte meine mangelnde Begeisterung über unsere Heimkehr nicht. Kaum hatte ich die Tür seiner Transportbox geöffnet, sprang er auf die Rückenlehne der Couch und sah sich auf eine Art und Weise um, die ich nur als hellauf begeistert interpretieren konnte.
Fairerweise musste man sagen, dass er hier mehr Zeit als wir verbracht hatte, was unter anderem daran lag, dass wir ihn im Vorjahr monatelang in der Obhut eines Haussitters zurückgelassen hatten. Vielleicht war er aber auch einfach nur froh, sich endlich wieder frei bewegen zu können. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Als
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