Dunkle Sehnsucht
Denise einmal die Gestalt einer Katze angenommen hatte, war sie stundenlang in einer Transportbox gefangen gewesen und erinnerte sich nicht gern an diese Erfahrung.
Während ich mich im Wohnzimmer umsah, dachte ich, dass ich schon mal die Überwürfe von den Polstermöbeln nehmen oder Möbelspray und ein paar Lappen holen sollte; die Staubschicht auf dem Kaminsims und den Beistell-tischen war inzwischen so dick, dass ich darauf meinen Namen hätte schreiben können. Aber ich tat nichts dergleichen.
Ich stand nur da, sah mich um und fragte mich, wo ich Don am besten hinstellen sollte.
Nicht auf einen der Beistelltische oder den Kaminsims; da sprang der Kater manchmal drauf, und ich wollte die Überreste meines Onkels nicht vom Boden aufwischen müssen, wenn seine Urne versehentlich herunterfiel. Der Küchen-tisch war auch kein guter Platz; das schickte sich nicht. In den Schrank; das war unhöflich. Das Schlafzimmer oben ging schon gar nicht; ich wollte ja nicht, dass Don unser Treiben dort drinnen aus der ersten Reihe beobachten konnte. Und ins Bad konnte ich Don auch nicht stellen. Was, wenn er durch den Wasserdampf feucht wurde?
»Ich weiß nicht, wohin damit«, informierte ich Bones.
Er legte mir sacht die Hände auf die Schultern und drehte mich zu sich um.
»Gib sie mir, Kätzchen.«
Meine Finger schlossen sich fester um die Messingurne, die ich während der Reise von Tennessee, wo Dons Gedenkgottesdienst stattgefunden hatte, bis hierher in der Hand gehalten hatte. Natürlich hatte mein Onkel verbrannt werden wollen. Er hatte wohl nicht das Risiko eingehen wollen, dass einer von uns ihn doch noch aus dem Grab holte, wenn er sich an einem Stück bestatten ließ.
»Erst, wenn ich den richtigen Platz für ihn gefunden habe«, beharrte ich. »Er ist keine Pflanze, die man einfach auf die Fensterbank in die Sonne stellen kann, Bones!«
Er hob mein Kinn, bis ich ihn entweder ansehen oder mich trotzig gegen seine Hand stemmen musste. Ich entschied mich für Ersteres, obwohl mir eher nach Letzterem zumute war.
»Dir ist doch bewusst, dass das in deinen Händen nicht Don ist«, stellte Bones mit einem mitfühlenden Blick aus seinen dunklen Augen fest. »Du wolltest seine sterblichen Überreste hierherbringen, damit ihnen nichts geschieht, wenn wir unterwegs sind, aber das da ist genauso wenig dein Onkel, wie ich mein Mantel bin, Kätzchen.«
Ich warf einen Blick auf Bones' Ledermantel mit den vom vielen Tragen leicht abgewetzten Säumen. Ich hatte ihn Bones ganz zu Anfang unserer Beziehung als Weihnachts-geschenk gekauft, ihn aber nicht selbst überreichen können, weil ich Bones damals verlassen hatte.
»Nein, du bist nicht der Mantel«, antwortete ich und spürte ein allzu vertrautes Brennen in den Augen. »Aber du hast ihn damals trotzdem unter dem Schrank hervorgezo-gen, weil er alles war, was du von mir noch hattest. Na ja, das hier ist alles, was ich noch von Don habe.«
Mit dem Daumen streichelte Bones mein Kinn, während er die andere Hand sinken ließ, bis sie über der Urne lag.
»Das verstehe ich«, sagte er leise. »Und wenn du willst, bauen wir ein ganzes Zimmer an, damit alles genau so ist, wie du es dir wünschst. Aber jetzt, Schatz, musst du erst einmal loslassen.«
Er zog so sacht an der Urne, dass ich sie leicht hätte festhalten können, wenn ich es gewollt hätte. Ich sah auf das kleine Messingbehältnis und die bleichen Hände — meine und Bones' - hinab, die es hielten.
Es. Nicht Don. Mein Verstand wusste das, aber der Teil von mir, der sich noch nicht mit dem endgültigen Abschied abgefunden hatte, wollte nicht wahrhaben, dass ich nicht mehr in Händen hielt als Asche in einem Metallgefäß. Vier Tage waren seit Dons Tod vergangen, und doch hatte ich noch immer das Gefühl, mich in einem Traum zu bewegen.
Selbst sein Gedenkgottesdienst und die Trauerrede, die ich gehalten hatte, kamen mir völlig unwirklich vor, denn Don konnte doch unmöglich wirklich fort sein. Mann, ich hätte schwören können, dass ich ihn aus dem Augenwinkel ein paarmal gesehen hatte, wie er mir einen seiner typischen, leicht genervten Blicke zuwarf.
Bones zog noch einmal an der Urne, und ich ließ sie mir aus den Händen nehmen, während ich mir die Tränen wegblinzel-te, die dieses Loslassen im metaphorischen, nicht im eigentlichen Sinn mir in die Augen trieb. Bones beugte sich vor, ließ die Lippen über meine Stirn gleiten und verschwand dann ins Obergeschoss. Vielleicht war es das Beste, wenn Bones
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