Dunkle Sehnsucht
gesprintet kamen, um Bones und mich ins Innere des Militärstützpunktes zu führen, der von meinem ehemaligen Chef und Onkel, Don Williams, geleitet wurde. Aber ich war ja auch seit letztem Jahr nicht mehr hier gewesen. Vielleicht hätte ich erst anrufen sollen. Mich beim Tower zu melden, als wir den Luftraum der Basis erreicht hatten, war ja nicht gerade eine Vorankündigung, aber Don musste über das sich zusammenbrauende Unheil Bescheid wissen. So etwas musste man meiner Meinung nach persönlich besprechen. Außerdem war Juan hier, den ich hoffentlich dafür erwärmen konnte, mir eine kleine Blutspende zukommen zu lassen.
Um ganz ehrlich zu sein, bei dem Spontantrip nach Ost-Tennessee ging es nicht allein um Informationsübermitt-lung und Nahrungsbeschaffung. Aus geschäftlichen Gründen hatte Don unsere letzten Treffen absagen müssen, sodass es einige Monate her war, seit ich meinen Onkel zum letzten Mal gesehen hatte. Wir hatten uns anfangs zwar schwer miteinander getan, aber ich vermisste ihn. Mit diesem Besuch konnte ich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen, was Don bestimmt gefallen würde. Er stand auf Multitasking.
Wir hatten gerade die Doppeltür auf dem Dach erreicht, als Bones so abrupt stehen blieb, dass einer der Wachhabenden mit ihm zusammenstieß.
»Verdammte Scheiße«, murmelte Bones.
Ich sah mich hektisch um, aber nirgends war etwas Ungewöhnliches zu sehen, bis auf den Soldaten, der ein verlegenes Gesicht machte, weil er in Bones hineingelaufen war.
Dann flimmerten Mitgefühl und Entschlossenheit durch mein Unterbewusstsein. Ich verspannte mich. Das waren nicht meine Gefühle.
»Was?«, wandte ich mich an Bones.
Er machte ein so beherrschtes Gesicht, dass ich es mit der Angst bekam. Die beiden Wachen neben uns tauschten verdutzte Blicke aus, aber ob sie wussten, wo das Problem lag, konnte ich nicht sagen. Im Augenblick konnte ich nur meine eigenen Gedanken hören.
Bones nahm meine Hand. Sein Mund öffnete sich, aber bevor er sprechen konnte, schwangen die Türen auf, und ein muskulöser Vampir mit kurzem braunem Haar trat zu uns heraus.
»Cat, was machst du hier?«, wollte Tate wissen.
Ich ignorierte die Frage meines einstigen Hauptmanns und sah weiter Bones an. »Was?«, fragte ich noch einmal.
Seine Hand schloss sich um meine. »Dein Onkel ist sehr krank, Kätzchen.«
Etwas Kaltes kroch mir in den Nacken. Ich sah zu Tate. Er straffte grimmig die Schultern, also hatte Bones recht.
»Wo ist er? Und warum hat mich niemand angerufen?«
Tate verzog den Mund. »Don ist hier, im Sanitätstrakt, und dich hat niemand angerufen, weil er nicht wollte, dass du davon erfährst.«
Tate klang nicht, als würde er Dons Entscheidung guthei-
ßen, aber ich wurde trotzdem wütend.
»Ihr wolltet es mir also erst sagen, wenn die Beerdigung ansteht? Klasse, Tate!«
Ich riss mich von Bones los und rauschte an Tate vorbei nach drinnen. Der Sanitätstrakt lag im zweiten Untergeschoss, eine Etage über den Trainingsräumen und zwei Etagen über den Zellen, in denen wir immer die gefange-nen Vampire untergebracht hatten. Ich drückte den Aufzug-knopf und trommelte dabei vor Ungeduld mit dem Fuß auf den Boden. Die Wachhabenden warfen mir verdutzte Blicke zu, aber ich kümmerte mich nicht darum, dass meine Augen leuchteten und meine Fänge gegen meine Lippen drückten.
Falls die Wachen noch nicht gewusst hatten, dass es Vampire gab, konnte Tate ihr Gedächtnis löschen.
»Woher zum Teufel wusstest du das mit Don ?«, hörte ich Tate an Bones gewandt fragen.
»Die ganze Hektik, die hier veranstaltet wird, um ihn für Cat präsentabel herzurichten«, antwortete Bones knapp.
»Gedankenlesen, weißt du nicht mehr?«
Die Aufzugtüren öffneten sich, und ich trat hindurch, ohne weiter zuzuhören. Normalerweise hätte es mich beun-ruhigt, Bones mit Tate allein zu lassen, denn die beiden waren wie Hund und Katz. Aber im Augenblick galten meine Gedanken allein meinem Onkel. Was fehlte ihm? Und warum hatte er allen verboten, mir etwas zu sagen?
Als die Fahrstuhltüren sich im zweiten Untergeschoss öffneten, sprintete ich beinahe hinaus und dann weiter durch den Flur und die Tür mit der Aufschrift »Sanitätsbereich«.
Das Personal, an dem ich vorbeikam, ignorierte ich. Mir musste niemand sagen, wo mein Onkel war. Im letzten Zimmer rechts hörte ich Don husten und mit jemandem murmeln.
Kurz vor der Tür verlangsamte ich mein Tempo, da ich nicht einfach hereinplatzen wollte, falls mein Onkel, der stets
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