Dunkle Sehnsucht
vergessen?«
Normalerweise hätte sein treffender Konter mich zum Lächeln gebracht, aber sein grauer Teint und die offensichtliche Anstrengung, die es ihn kostete, einen Schritt zurück-zutreten, machten mir zu große Sorgen. Mein Onkel war stets in allen Lebenslagen eine ehrfurchtgebietende Erscheinung gewesen, jetzt aber wirkte er gebrechlich. Das jagte mir mehr Angst ein, als unbewaffnet einem feindlichen Heer gegenüberzustehen.
»Warum bist du hier?«, fragte ich ihn noch einmal und unterdrückte die Angst, die meine Stimme schriller als üblich klingen ließ.
»Eine böse Grippe«, antwortete Don, dessen Stimme vom Husten geschüttelt wurde.
»Lüg sie nicht an.«
Bones' Stimme drang ins Zimmer, und ein paar schwere Fußtritte später folgte er selbst. Der Blick seiner dunkelbraunen Augen richtete sich auf Don, der sichtbar erstarrte.
»Nur aufgrund deiner Fähigkeiten hast du nicht das Recht ...«
»Ich aber, weil ich deine Angehörige bin«, mischte ich mich ein, die Hände zu Fäusten geballt. »Du bist mit mir verwandt. Ich habe also ein Recht, es zu wissen.« Und wenn du es mir nicht sagst, hypnotisiere ich deine Pflegerin, damit die es tut, fügte ich im Geist hinzu.
Eine endlose Weile sah Don schweigend von mir zu Bones und wieder zurück. Schließlich zog er die Schultern zu einem schwachen Achselzucken hoch.
»Ich habe Lungenkrebs.« Sein Lächeln wirkte verkrampft, aber sein typischer trockener Humor funktionierte noch.
»Die Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln sind anscheinend korrekt.«
Alles in mir erstarrte, als er es aussprach. »Aber ich habe dich nie rauchen sehen«, rief ich. Ich war so schockiert, dass ich es gar nicht glauben konnte.
»Ich habe aufgehört, bevor wir uns kennengelernt haben, aber dreißig Jahre lang habe ich ein Päckchen pro Tag ge-qualmt.«
Lungenkrebs. Und zwar im fortgeschrittenen Stadium, sonst hätte er nicht so schlecht ausgesehen und sich im Sanitätstrakt unterbringen lassen. Don als Workaholic zu bezeichnen wäre eine Untertreibung gewesen. In all der Zeit, die ich ihn kannte, hatte mein Onkel weder Ferien gemacht, noch sich an Feiertagen, Geburtstagen, geschweige denn aus Krankheitsgründen freigenommen. Und während ich noch völlig perplex die neue Situation zu begreifen versuchte, verfiel ich in eine nüchterne Sachlichkeit, die gnädig den Kummer ausblendete, der mich wie ein Schlag in die Magen-grube getroffen hatte.
»Die Ärzte werden doch operieren? Oder eine Chemotherapie einleiten? Beides? Was für einen Behandlungsplan haben sie dir vorgeschlagen?«
Er seufzte. »Der Krebs ist so weit fortgeschritten, dass weder OP noch Chemo etwas bringen würden, Cat. Mein Behandlungsplan lautet, so viel wie möglich aus der Zeit zu machen, die mir noch bleibt.«
Nein. Das Wort hallte so laut in meinem Kopf wie sonst die störenden Stimmen der Menschen. Dann entkrampfte ich die Finger, die ich an meinen Seiten zu Fäusten geballt hatte, und bemühte mich, meine Stimme ganz ruhig klingen zu lassen. Heulen und Zähneklappern würden mir nicht weiterhelfen, Logik und Gelassenheit schon.
»Die Schulmedizin kann vielleicht nichts mehr ausrichten, aber wir haben andere Möglichkeiten. Vampirblut kann weiteren Schaden an deiner Lunge verhindern, den Krebs womöglich sogar zurückdrängen ...«
»Nein«, fiel Don mir ins Wort.
»Verdammt!«, rief ich. So viel zu Logik und Gelassenheit.
»Deine Vorurteile vernebeln dir den Verstand. Dein Bruder war bereits ein Arschloch, bevor er zum Vampir wurde, Don.
Ich bin nach meiner Verwandlung nicht bösartig geworden, und wenn du jetzt Vampirblut trinkst, um deine Gesundheit zu stärken, wirst auch du nicht bösartig werden.«
»Ich weiß«, sagte er zu meiner Überraschung. »Kurz nach der Diagnose vor sieben Jahren habe ich angefangen, Vampirblut zu trinken. Du hast es mir ermöglicht, indem du ge-fangene Vampire von deinen Einsätzen mitbrachtest, als du für mich gearbeitet hast. Du hast recht, es hat den Krebs auf-gehalten, aber die Zeit holt jeden ein, und jetzt ist es auch bei mir so weit.«
Sieben Jahre! Meine Gedanken überschlugen sich. »Du hast mir das verheimlicht, seit wir uns kennen? Warum ?«
Dons Seufzer rasselte in seiner Kehle. »Anfangs, als du dem Team beigetreten bist, habe ich dir nicht vertraut, wie du dich erinnern wirst. Dann wollte ich dich nicht von deinem Job ablenken. Als du herausgefunden hast, dass du meine Nichte bist ... Immer kam etwas dazwischen. Du hattest viel um die
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