Dunkle Sehnsucht
gehört.« Nicht die leiseste Regung flackerte in ihren Zügen auf. »Darf ich annehmen, dass die Leichen, die aus dem Hotel geborgen wurden, von den Angreifern stammen?«
»Einer hat überlebt«, antwortete Bones. »Wir haben ihn mitgenommen.«
Jetzt hatten wir Maries volle Aufmerksamkeit. Sie beugte sich vor und sah uns aus ihren dunklen Augen eindringlich an. »Sagt mir, dass ihr ihn dabeihabt.«
»Es tut mir leid, aber er ist tot«, stellte Bones gleichmü-
tig fest.
»Ihr habt ihn umgebracht?« Marie wirkte nicht glücklich, was allem Anschein nach nicht daran lag, dass sie dem Ermordeten ein langes und glückliches Leben gewünscht hatte. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte der Betreffende sich womöglich noch bei Vlad dafür bedankt, dass er ihm das er-spart hatte, was Marie ihm angetan hätte, wenn sie ihn in die Finger bekommen hätte. Sie stand in dem Ruf, drakonische Strafen über jene zu verhängen, die ihren Gästen das sichere Geleit verwehrten.
»Vlad war es«, sagte ich, bevor Bones antworten konnte.
»Er war nicht über alle Details im Bilde.« Das entsprach zumindest teilweise der Wahrheit.
»Ich werde mich später mit ihm darüber unterhalten«, murmelte Marie fast wie zu sich selbst.
Ich warf einen Blick auf den leeren Sessel ihr gegenüber.
»Darf ich?«
Sie machte eine Handbewegung. »Bitte.«
Ich nahm in dem Sessel Platz. Die Dinge entwickelten sich besser als erwartet. Marie hatte noch keinen Tobsuchtsanfall wegen Bones oder dem ermordeten Ghul bekommen. Vielleicht hielt sie Apollyon für eine ebenso große Bedrohung wie wir.
»Du kannst bleiben«, sagte sie zu Bones, »aber ich will, dass du schweigst, während ich mich mit Cat unterhalte, sonst lasse ich dich entfernen«, wandte sich Marie in einem Tonfall an Bones, der keine Widerrede duldete.
Der einfache Satz ließ meine Hoffnungen schwinden.
Bones verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an die Wand, sodass man ihn für völlig entspannt hätte halten können. Ich konnte seine Emotionen nicht fühlen, aber hinter seinem schiefen Lächeln verkniff er sich bestimmt eine ganze Schimpftirade. Ich konnte nicht umhin, sein cooles Auftreten zu bewundern. Wenn ich sauer war, schaffte ich es nie, mich so locker zu geben.
Ich räusperte mich in dem peinlichen Schweigen, das entstanden war. »Als dann ... was machen die Heiligen so?«
Maries scharfe Augen blickten unverwandt in meine.
»Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch ein Halbblut. Erzähl mal, Cat, wie ist es denn so, eine vollwertige Vampirin zu sein?«
»Ganz toll«, antwortete ich. Mir war klar, dass sie auf irgendetwas hinauswollte, aber ich tat so, als hätte sie mir eine ganz normale Frage gestellt. »Meine Periode vermisse ich überhaupt nicht, und hey, Kalorienzählen fällt auch flach.
Ist doch klasse, oder?«
Sie lächelte mich an, wobei sie ihre hübschen weißen Zäh-ne entblößte, die einen tollen Kontrast zu ihrem mattroten Lippenstift ergaben. »Du vergaßt, die Fähigkeit zu erwähnen, deinen Exmann mit einem Feuerball zu töten.«
Das Lächeln gefror mir im Gesicht. Ich hatte erwartet, dass wir über Apollyon reden würden, nicht über Gregor.
Er war der Vampir, dessen Blut mit dem Ghul-Herz vereint worden war, durch das man Marie vor fast einhundertfünfzig Jahren von den Toten erweckt hatte. Aber Marie hatte seinen Tod ebenfalls gewollt, also war ich nicht darauf gefasst gewesen, dass sie mir Vorhaltungen machte.
Marie ist eine wertvolle Verbündete, du darfst jetzt nicht aufbrausend werden und ihr einen Vorwand liefern, sich auf Apollyons Seite zu schlagen, ermahnte ich mich. Sieh dir Bones an. Er wirkt fast gelangweilt, obwohl er bestimmt genauso sauer ist wie du, weil Marie Gregor wieder aufs Tapet gebracht hat.
»Er hat in einem Duell mit Bones unlautere Mittel benutzt, sodass die Gesetzeshüter mich von aller Schuld frei-gesprochen haben«, stellte ich fest, stolz, dass meine Stimme ganz ruhig klang.
Marie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und ließ geistesabwesend die Hand über den Bezugsstoff gleiten. Im Hinterkopf fragte ich mich, wo die Geheimtür in diesem Zimmer verborgen war. Der Sessel stand nicht immer hier, sonst hätte er durch die Luftfeuchtigkeit Stockflecken bekommen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Marie niemals auf einen alternativen Fluchtweg verzichtet hätte.
»Unlautere Mittel, das überrascht mich nicht«, bemerkte sie. »Gregors Arroganz war schon immer seine
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