Dunkle Sehnsucht
bei Vlad in Rumänien erinnerte, verneigte sich vor Vlad und winkte dann Bones und mir.
»Bitte folgt mir.«
Beim Anblick der schemenhaften Gestalten, die zwischen den getünchten Grüften des Friedhofs von St. Louis um-herhuschten, vermisste ich Fabian. Wer hätte gedacht, dass man einen Geist so ins Herz schließen konnte? Aber dass Fabian durchsichtig war, bedeutete schließlich nicht, dass er kein großartiger Freund sein konnte. Im Gegensatz zu ihm hatten die meisten Gespenster hier kein Bewusstsein. Sie waren nur Schatten ihres ehemaligen Selbst, die gefühl- und gedankenlos in einer Art Endlosschleife die immer gleichen Handlungen abspulten. Doch ich konnte auch den einen oder anderen Geist ausmachen, der, wie Fabian, noch all seine ektoplastischen Tassen im Schrank hatten. Sie bedachten Bones und mich mit Blicken, die von neugierig bis geringschätzig reichten, während wir vor dem Friedhofstor warteten. Es war verschlossen, eine Warnung, die dem Besucher bedeutete, dass sich nachts außer den Toten oder solchen, die es noch werden wollten, niemand auf dem Gelände herumtreiben sollte.
Ich bezweifelte, dass wir so nah bei Marie Laveaus bevor-zugtem Treffpunkt einen Ghul-Angriff zu befürchten hatten, aber als ich die Hand über Bones'Arm gleiten ließ, stellte ich fest, dass er gespannt war wie ein Flitzbogen.
»Ich muss noch meinen Kater holen, bevor wir heute Nacht abreisen«, bemerkte ich, nur um die Anspannung zu durchbrechen. Ich hatte bereits Liza angerufen, eine Freundin von Bones, die in seinem Haus im French Quarter wohnte, und sie gebeten, den Kater aus unserem Zimmer im Ritz zu bergen. Bones hatte es bis morgen gebucht, aber falls die Hotelleitung irgendwie Wind davon bekam, dass wir an dem gestrigen Fahrstuhlabsturz beteiligt waren, musste ich verhindern, dass sie den Kleinen aufgriffen und aus Rache wo-möglich dem Tierschutzverein überantworteten.
Tate hatte bereits durch ein paar Telefonate sichergestellt, dass die Ghul-Leichen aus dem Aufzugschacht ihm und nicht dem örtlichen Leichenschauhaus überstellt wurden.
Die Cops hatten immer eine Menge Fragen, wenn an einem Tatort jahrzehnte- wenn nicht sogar jahrhundertealte Leichen auftauchten. Tate erledigte alles äußerst souverän, aber die Tatsache, dass ich mit ihm statt mit Don über die Beweis-mittelvernichtung redete, rief mir nur wieder in Erinnerung, wie ernst der Zustand meines Onkels war.
Ungeduldig trat ich von einem Fuß auf den anderen. Mit meinem Onkel konnte ich erst wieder Zeit verbringen, wenn diese Sache mit Apollyon aus der Welt geschafft war, und Don blieb nicht mehr viel Zeit. Und dann war ja auch noch meine Mutter auf die großartige Idee verfallen, sich quasi eine Zielscheibe auf den Allerwertesten zu pinseln, indem sie sich dem Team anschloss. Verwandtschaft . Der Stress, den ich durch die bösen Buben hatte, war nichts im Vergleich mit dem, was meine eigenen Angehörigen mir aufhalsten.
Und wo blieb eigentlich der Ghul, der Maries Gäste immer in ihren Konferenzraum unter dem Friedhof geleitete?
Der hätte schon vor zehn Minuten hier sein sollen.
Wie aufs Stichwort tauchte der dunkelhäutige Untote hinter einer Ecke auf der anderen Straßenseite auf und wirkte beinahe überrascht, als er uns vor dem Tor warten sah.
»Jacques«, begrüßte Bones ihn mit einem demonstrativen Blick auf die Zeitanzeige auf seinem Handydisplay. »Wir haben dich doch nicht bei irgendeinem Privatvergnügen ge-stört, oder?«
Kaum hatte Bones zu Ende gesprochen, war das eben noch überrascht wirkende Gesicht des Ghuls auch schon wieder glatt und ausdruckslos wie polierter Obsidian.
»Majestic weiß nicht, dass ihr in die Stadt zurückgekehrt seid. Sie hat angenommen, eure Abwesenheit würde bedeuten, dass ihr euren Termin heute Abend nicht wahrnehmen wollt.«
Ein sehr feines Lächeln huschte über Bones' Lippen. »Wir sind erst vor zehn Minuten eingetroffen.«
Genau, und zwar weder per Flieger noch per Schiff oder Auto. Der inzwischen kopflose Ghul hatte uns schließlich verraten, dass seine Kumpels all diese Zugangswege über-wachten. Bones war aus eigener Kraft mit mir hergeflogen und auf dem Dach der St. Louis Cathedral am Jackson Squa-re gelandet, sodass wir nur noch hinunterspringen und die paar Straßen bis zum Friedhof zu Fuß gehen mussten. Er hatte nicht gewollt, dass ich mich für den Abstecher in die Stadt selbst noch einmal im Fliegen versuchte. Ich sollte mir die Energie für später aufsparen, hatte er gesagt.
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