Dunkle Sehnsucht
wahr? Spar dir also deine übertriebene Fürsorge. Du würdest auch nicht wollen, dass ich dich so behandle.«
»Kommt mir bekannt vor, dir auch?«, flüsterte ich Bones zu und hatte das Gefühl, ich würde zwei Schauspielern in den Rollen von Bones und mir zusehen.
Er schnaubte. »Und wie.«
»Ich hätte Denise nie um diesen Gefallen gebeten, wenn ich glauben würde, es bestünde ein Risiko für sie«, wandte ich mich an Spade. Seit der Dämon Denise seine Zeichen aufgedrückt hatte, konnte sie nur getötet werden, indem man ihr die Augen mit Dämonenknochen ausstach, und die waren in etwa so selten wie der berühmte Schneeball in der Hölle. »Du willst, dass sie in Sicherheit ist«, fuhr ich fort. »Ich auch, und deshalb müssen wir Apollyon aufhalten. Selbst wenn jemand mir morgen ein Silbermesser ins Herz stößt, würde Apollyon wohl kaum einfach so von der Bildfläche verschwinden. Er hat sechshundert Jahre auf diese Chance gewartet, und bestimmt hat er nicht vor, sich noch einmal so lange oder noch länger zu gedulden, bis das nächste Halbblut auftaucht.«
Spade schwieg eine Weile, während er den Blick seiner ti-gerfarbenen Augen über Denise, Bones und mich schweifen ließ. Schließlich breitete er die Hände aus.
»Ihr habt ja recht. Entschuldigt. Wie es scheint, lässt mich mein Verstand im Stich, sobald es um das Wohlergehen meiner Frau geht.«
Bones schnaubte. »Kann ich nachvollziehen. Aber keine Bange. Denise weist dich sicher jederzeit gern darauf hin, wenn dein Verstand dich wieder mal im Stich lässt, genau wie meine Frau mich.«
Auf seinen trockenen Kommentar hin konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. »Ganz meinerseits, Schatz. Du bist selbst ganz gut darin, es mir unter die Nase zu reiben, wenn ich mich von meinen Ängsten statt von meinem Verstand leiten lasse.«
Die Anspannung im Raum verflüchtigte sich, und wir schwiegen eine Weile gemeinsam. Dann räusperte sich Denise.
»Also ... fangen wir an. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen, um mich auf diese Sache vorzubereiten, und ich bin am Verhungern. Wenn es funktioniert, stopfe ich mich zur Belohnung voll, bis ich platze.«
Mit diesen Worten erhob sie sich und blieb ein Stück von der Couch entfernt stehen. Ich näherte mich ihr und wusste nicht, ob ich etwas sagen sollte oder damit womöglich ihre Konzentration störte. Mencheres und Kira waren au-
ßer Haus, sodass wir unter uns waren. Nirgends trieben sich Geister herum, was wir dem übel riechenden Abwehrzauber zu verdanken hatten, der mich und das Haus schützte, und auch die Vorhänge waren zugezogen, obwohl niemand in der Nähe wohnte. Wir wollten nicht riskieren, von irgendjemandem beobachtet zu werden - von meinem Kater einmal abgesehen, der gerade dabei war, sich zu putzen, und uns dabei immer mal wieder einen Blick zuwarf.
Denise musterte mich von Kopf bis Fuß und zog angestrengt die Stirn kraus. Irgendwann veränderte sich ihr Geruch. Die vertraute Jasmin-Basis wurde herber. Auch ihr Puls beschleunigte sich, ihre Atemzüge wurden kürzer, schärfer. Die sie umgebende Atmosphäre verdichtete sich, während ihr Geruch sich weiter veränderte, eine unterschwellig schweflige Note annahm. Ich hatte das zwar schon einmal miterlebt, konnte mir ein leises Unbehagen aber nicht verkneifen, als ihre haselnussbraunen Augen sich schließlich dunkelrot färbten.
Dann schrie Denise auf, heiser und laut. Ihre Gesichtshaut schien Wellen zu werfen und zu schmelzen wie Wachs an einer Flamme. Ihr Stöhnen klang fast animalisch. Sie krümm-te sich, von krampfartigem Schaudern gepackt, bis es aussah, als würden ihr die Muskeln aus dem Leib gerissen. Unwillkürlich fuhr ich mir mit der Hand an den Mund, um nicht zu keuchen. Spade hatte recht. Ich hätte das nicht von ihr ver-langen dürfen. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht?
Denise ging in die Knie, das Haar fiel ihr ins Gesicht, und ein entsetzlicher Aufschrei entrang sich ihr. Spade erreichte sie vor mir, nahm sie in die Arme und sprach flüsternd auf sie ein. Schuldbewusst berührte ich ihre Schulter.
»Hör auf, Denise, das ist es nicht wert. Wir finden eine andere Lösung ...«
Meine Stimme erstarb, als sie urplötzlich den Kopf hob.
Ihre Augen waren nicht länger rot oder braun, sondern dunkelgrau. Dunkelbraunes Haar umrahmte ein Gesicht, wie es mir täglich aus dem Spiegel entgegenblickte.
»Verdammt, du hast es geschafft«, rief Bones.
Ein Grinsen breitete sich auf Denises Zügen aus, nur dass es nicht mehr
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