Dunkle Spiegel
erwiderte meinen Blick. Seine Kiefer mahlten und sein Blick war leer.
“Und was jetzt?” fragte er nach einem kurzen Moment des Schweigens.
“Wir sind hier fertig. Glaube ich jedenfalls.” gab ich achselzuckend zurück.
Von irgendwo kam in diesem Moment ein kühler Luftzug, der sanft unsere Wangen streifte und einen Hauch süßen Parfums mit sich führte. Ich wusste nicht warum, doch das half mir, mich aus meiner Lethargie zu lösen.
Weg!
Ich wollte nur noch hier raus!
Langsam setzte ich mich in Bewegung. Ramirez folgte mir.
“Hey - warum nehmen wir nicht den Aufzug?” fragte er mich plötzlich. Erst jetzt registrierte ich, dass ich schon die halbe Treppe abwärts gegangen war. Laufen!
Ich wollte mich bewegen! Nur nicht stehen bleiben. Kein Stillstand!
“Was denn, hast du dein Sportprogramm derart vernachlässigt, dass du nicht einmal mehr ein paar Stufen bewältigen kannst?” versuchte ich einen Scherz. Ramirez schürzte die Lippen und legte den Kopf schief.
“Dir mache ich auf alle Fälle noch was vor, Sportsfreund!” Mit diesen Worten nahm er gleich zwei Stufen auf einmal, bis er sich auf gleicher Höhe mit mir befand.
Beim Hinabsteigen sprachen wir kein Wort. Ich konzentrierte mich nur auf die Stufen. Eine Zwischenetage nach der anderen ließen wir hinter uns. Die aufgemalten Zahlen an der Wand zeigten uns die Entfernung bis zum Erdgeschoss.
Vierundzwanzig … dreiundzwanzig … zweiundzwanzig.
Stufen. Stufen.
Es geht vorwärts, dachte ich bei mir.
Schneller. Schneller.
Ohne es zu merken erhöhte ich das Tempo.
Achtzehn … siebzehn … sechzehn.
Schneller, schneller!
Ich spürte Adrenalin in meinem Blut. Es prickelte in meinen Beinen.
Schneller!
Ich spürte, wie mir von den kleinen rot-braunen Punkten des Steins, aus dem die hellen Stufen gemacht worden waren, richtig schwindlig wurde. Und mit jeder Drehung um das Treppengeländer auf den einzelnen Zwischenabsätzen wurde das Schwindelgefühl etwas stärker.
Rausch! Ich fühlte mich wie berauscht!
Vierzehn … dreizehn … zwölf.
Ein kurzer Blick nach rechts. Ramirez hielt mit, kleine, glänzende Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Er schnaufte und sein mächtiger Brustkorb vibrierte. Ich konnte spüren, dass auch ihm die Bewegung gut tat.
Schnell ging es abwärts. Ich registrierte die Veränderung an den Wänden. Die Farben. Die Bilder. Es wurde karger.
Acht … sieben … sechs … fünf.
Hier war es schon fast so karg wie in den Fluren der meisten Krankenhäuser. Nur blasse Farbe langweilte noch das Auge.
Als wir die dritte Etage erreichten, hielt ich kurz inne und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus. Diese gesunde Wärme durchströmte meine Wangen. Meine Stirn war feucht. Das Kribbeln und Pulsieren in den Beinen ließ nur langsam nach.
Lächelnd sagte ich zu meinem Freund: “So! Jetzt lass uns den Rest langsam angehen!”
“Nichts dagegen! Obwohl ich noch ein gutes Stück durchhalten würde.” erwiderte er grinsend und zwinkerte mir zu.
“Sag mal, was hältst du von denen da oben?” fragte ich ihn.
Ramirez überlegte einen kurzen Augenblick, bevor er antwortete: “Kommen mir beide etwas merkwürdig vor. Verschließen sich vor der Realität und betrachten alles wie durch einen Fernseher. Dabei genießen sie eine gewisse Distanz zu allem. Das passiert ja nicht bei uns, sagen die sich. Das geht uns nichts an!”
Ich nickte zustimmend. Das war auch genau mein Eindruck gewesen.
“Letzten Endes kann es uns aber gleichgültig sein. Entscheidend ist nur eines: die Ratte sitzt nicht mehr lange in ihrem Loch! Sie wird ausgeräuchert! Bald haben wir sie vor uns.”
“Hoffentlich! Aber ich bin zuversichtlich. Das alles wäre einfach ein zu großer Zufall. Jetzt muss nur noch … - nanu, wo sind wir denn jetzt gelandet?”
Wir standen in einem halbdunklen Vorraum. Vor uns befand sich eine massive Metalltür, an der sich aber schon an einigen Stellen Rostflecken zeigten. Erst jetzt bemerkte ich die Enge des Flurstücks, das wir gerade heruntergekommen waren. Rechts von uns ging es noch ein Stück abwärts. Dort verloren sich die Stufen im Dunkel. Entfernt konnte man eine schwache Deckenbeleuchtung erkennen. An der Stelle, an der wir standen, ließ nur ein schmales Fenster aus schmutzigem Milchglas ein wenig natürliches Licht in den Flur.
“Wir sind wohl schon eine Etage zu weit gegangen. Wie steht´s? Sollen wir mal nachsehen, wieviele Leichen sich in den Kellern dort befinden?” fragte
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