Dunkle Spiegel

völlig verdutzt - ich hatte nicht den kleinsten Laut vernommen der darauf hingedeutet hätte, dass noch jemand den Raum betreten hätte. Gerade als ich mich umdrehen wollte, stand auch schon jemand hinter mir und legte federnd seine Hand auf meine Schulter.
    Wer war er? Hatte sich Wallingman Verstärkung geholt?

*** 56 ***
    Ramirez und ich erhoben uns. Wir blickten in ein faltiges Gesicht, das trotzdem Wärme ausstrahlte. Mir fiel zuerst die spitz zulaufende Nase auf, die fast die Form eines Segels hatte. Durch den Lichteinfall funkelten seine grünen Augen hell und intensiv.
    Er begrüßte uns mit einem gewinnenden, leichten Händedruck.
    “Ich bin Matthew Williams, erster Geschäftsführer von Chips Enterprises. Sie sind Detective Jason Crocket? Und Sie heißen Ricardo Ramirez, richtig? Ebenfalls Detektiv, vermute ich.” Er trat einen Schritt zurück und sah uns beide freundlich an. Sein Anzug saß wie angegossen und war aus edelstem Stoff genäht. Sein Haar war fast weiß und fest nach hinten gekämmt. Sein Gesicht sowie seine Hände waren fast völlig glatt, abgesehen von den Falten auf seiner Stirn.
    Er lächelte entschuldigend, als er sagte: “Verzeihen Sie bitte, aber ich habe das ganze Gespräch verfolgt. Ich bleibe normalerweise gerne im Hintergrund. Charles übernimmt für mich die aktive Tätigkeit.”
    Ramirez und ich nickten nur. Was hätten wir auch sagen sollen?
    “Bitte, setzen Sie sich doch wieder. Ich denke, wir werden schon einen Kompromiss finden, mit dem beide Seiten leben können, nicht wahr?”
    Wir nahmen wieder Platz. Es war, zugegeben, ein sehr geschickter Schachzug von den beiden Männern. Meine Strategie, dieses Gespräch so zu gestalten, bis ich mir Wallingman zurechtgelegt hätte, war praktisch unbrauchbar. Das Eintreffen Matthew Williams´ war mehr als überraschend für mich gewesen.
    “Also,” begann Williams, “Sie haben den Verdacht, dass einer der Mitglieder unserer Chaträume der Täter sein könnte, der sich dort Frauen sucht und sie dann auf so grauenvolle Art tötet. Habe ich das so richtig verstanden?”
    “So ist es. Und wie bereits gesagt, sind diese Chaträume bisher die einzige direkte Verbindung zwischen den Opfern. Es wäre also tatsächlich möglich, dass der Täter unter den angemeldeten Chattern zu suchen ist. Oder unter den Mitarbeitern.”
    “Ja, wenn man das so sieht, könnte man tatsächlich zu diesem Schluss kommen. Aber wäre das denn nicht enorm riskant?” Er hatte in dem noch freien Ledersessel Platz genommen, der etwas seitlich des großen Schreibtischs stand. Seine Körpersprache zeigte Offenheit. Er saß leicht zu uns nach vorne gebeugt und seine Hände lagen locker gefaltet auf seinen Knien. Charles Wallingman war still geworden und hatte seinen Blick fest auf die Schreibunterlage vor sich auf dem Schreibtisch gerichtet, wobei seine Augen jedoch unter den Lidern immer wieder zwischen Williams und uns hin und her wanderten.
    “Wir glauben, dass er sich dieses Risikos voll bewusst ist und es einkalkuliert hat.” entgegnete ich. “Wie Sie sehen, kann er sich wohl bisher sehr gut vor uns und auch Ihnen verstecken. Und auch die Anmeldung garantiert ihm trotz allem eine gewisse Anonymität, wie Mr. Wallingman das gerade eben noch einmal sehr deutlich gemacht hat.”
    Ein ärgerliches Räuspern kam aus der Wallingmans Richtung.
    Williams sah uns nachdenklich an. Ein nadeldünnes Lächeln umspielte seine Lippen.
    “Detective Crocket. Bei allem Verständnis, das ich Ihnen und Ihrer Arbeit entgegenbringe, und auch bei allem Respekt, den ich vor Ihrer Leistung und Ihrem Engagement in diesem Fall habe, muss ich zu meinem Bedauern leider eingestehen, dass mir Ihre Vermutungen doch noch etwas zu vage sind. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: der Tod dieser Frauen ist tragisch, vollkommen unverständlich und auf das tiefste zu verachten. Aber Ihre Forderung können wir einfach nicht erfüllen! Schließlich geht es hier um keine Banalität, die Sie verlangen. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie selbst die Tragweite überhaupt richtig einschätzen können. Sie hätten plötzlich Zugriff auf Informationen über Personen, die vielleicht sogar hohe Ämter bekleiden. Bekannte und geschätzte Persönlichkeiten. Würdenträger. Familienväter. Das ist eine gefährliche Angelegenheit.” Er machte eine kurze Pause und blickte unter sich. Seine Augen folgten dem Muster auf dem Teppich, dann wandte er sich uns wieder zu und sagte entschlossen: “Ich muss Ihnen zu