Dunkle Symphonie der Liebe
Tonfall in scharfem Gegensatz zu seinen
Gefühlen stand. »Ich war mein Leben lang meistens in der Lage, Menschen recht
gut einzuschätzen, Byron. Ich habe immer geglaubt, es liegt daran, dass ich
blind bin und mich auf meine anderen Sinne verlassen muss. Bei dir ist es sehr
schwer, weil du nicht viel sagst und ich nicht darauf zählen kann, dass deine
Stimme verrät, was in dir vorgeht.« Sie hob eine Hand, um sein Gesicht zu
berühren, und zog mit den Fingerspitzen behutsam seine Züge nach.
»Ich war nie blind, Antonietta,
obwohl ich lange Zeit keine Farben sehen konnte. Ich habe die Welt in
Schattierungen von Grau, Weiß und Schwarz gesehen. So geht es allen Männern
meines Volks. Die meisten von ihnen verlieren die Fähigkeit, Farben zu sehen,
wenn sie herangewachsen sind, aber bei mir hat es viel länger gedauert.«
Byron wirkte so bedrückt, dass
sie unwillkürlich näher zu ihm rückte. »Was ist los? Woran denkst du?«
»Vor langer Zeit hatte ich
einen Freund aus Kindheitstagen. Er war mehr als ein Freund. In meiner Welt
können Geschwister sehr viel älter sein. Mein Freund war meine Familie. Wir
waren nie weit voneinander entfernt, und er machte mir das Leben erträglich.
Ich habe Schmuck angefertigt, und Jacques wollte es auch unbedingt versuchen.«
Bei der Erinnerung an Jacques' Streiche verzog er den Mund. Byron war ein
Meister der Edelsteine und konnte durch seinen Gesang die Steine der Erde dazu
bringen, zum Vorschein zu kommen. Jacques hatte ihn oft in die tiefsten Höhlen
begleitet. »Mein Freund war mehrere Jahre lang verschwunden und galt als tot.
Damals war mein Leben die Hölle. Ich fühlte mich allein, und vielleicht nahm
ich es ihm übel, dass er gestorben war und mich damit allein gelassen hatte.
Ich fühlte mich verloren, ohne Halt. Dann sah ich eines Tages eine Frau. Ich
konnte sie in Farbe sehen. Ich wusste, dass sie rotes Haar und grüne Augen
hatte. Wenn das passiert, wissen die Männer unserer Spezies, dass sie die eine
Frau ist, die ihnen bestimmt ist. Aber ich konnte niemanden und nichts sonst in
Farbe sehen, was keinen Sinn ergeben hätte, wenn sie meine Gefährtin des
Lebens gewesen wäre, da uns Licht und Farben durch unsere Gefährtinnen vollständig
zurückgegeben werden. Ich hätte es besser wissen müssen, hätte mir die Zeit
nehmen sollen, alles gründlich zu durchdenken, aber damals war ich nicht
besonders geduldig.«
Die Trauer schien wie ein
schweres Gewicht auf ihm zu lasten. Antonietta konnte seinen Schmerz in ihrem
Inneren fühlen, aber sie schwieg, in der Hoffnung, er würde weitersprechen.
Sie hatte das Gefühl, dass er die Geschichte noch nie jemandem erzählt hatte.
Byron wandte den Kopf, um ihre
Fingerspitzen zu küssen. »Später wurde mir bewusst, dass mein Freund Jacques
und ich einander so nahe waren, dass ich Visionen aus seinem Kopf empfing. Er
war gefoltert worden und kaum noch bei Sinnen. Er hatte keinerlei Erinnerung an
uns beide, deshalb kam mir damals nicht der Gedanke, dass ich immer noch mit
ihm verbunden sein, immer noch durch seine Augen sehen könnte, wie es früher
oft bei uns vorgekommen war, wenn wir auf unserem persönlichen Verbindungsweg
Informationen austauschen wollten. Aber bis mir klar wurde, was vorging, war es
zu spät. Ich hatte unsere Freundschaft zerstört und ihn mit tiefem Misstrauen
gegen mich erfüllt. Ich habe ihn im Stich gelassen, als er mich brauchte. Ich
bereue meine Unbesonnenheit noch immer zutiefst.«
»Das ist wirklich traurig,
Byron. Ich hoffe, es geht deinem Freund inzwischen besser. Und wenn ihr
wirklich so gut befreundet wart, wird er dir, wenn er wieder gesund ist, sicher
alles verzeihen, was du auch getan haben magst.«
»Die Verbindung zwischen uns
besteht nach wie vor, falls einer von uns beschließt, sie wieder aufzunehmen,
aber ich konnte seit damals keine Farben mehr sehen. Mein Leben wurde wieder
grau und schattenhaft. Bis ich dich traf.«
Die Art, wie er es sagte, offen
und ehrlich, traf sie bis ins Herz. Bis ich dich traf. Es musste seine Stimme sein,
die eine derartige Wirkung auf sie hatte. »Was hat sich verändert?« Ihre Kehle
war wie zugeschnürt. Antonietta erteilte sich eine strenge Ermahnung. Er war
ein Mann wie all die anderen Männer, die kamen und gingen, wie es ihnen
gefiel. Und wenn er noch so schöne Worte machte, letzten Endes stellte sich
spätestens bei dem Ehevertrag heraus, worauf sie es alle abgesehen hatten. Und
es war nie Antonietta, die Frau, gewesen.
»Mein ganzes Leben«,
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