Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
hoch und sah Tess den Hügel herunterstolpern, in ihren spitzen, hochhackigen Stiefeln, beladen mit so vielen Kartons und Tüten, als wollte sie hier einen Laden aufmachen.
»Andy hat mir erklärt, wie ich fahren muss, und er hat mir auch einen Schlüssel für das Tor vorne gegeben«, sagte sie strahlend. »Wow!«
Es war ein Tag wie am Mittelmeer. Bestimmt dachte sie das auch, als sie sich jetzt in dem sonnenbeschienenen Garten umschaute – die kleinen Blätter an den knorrigen Apfelbäumen, die aussahen wie geknülltes grünes Krepppapier, und das leuchtend blaue Meer am Horizont.
»Das ist ja noch besser als Korsika!«, rief sie. »Und das Gelände ist ideal für ein Fest. Aber warum musstest du unbedingt Leo einladen? Ist Andy denn nicht hier? Er ist immer bei dir, wenn ich ihn irgendwie suche.«
»Stimmt doch gar nicht. Aber selbst wenn – was würde das ändern?«
Ich liebte Tessas offenes Gesicht. Jetzt im Moment kämpften dort Schmerz und Belustigung miteinander, und man bekam beide Seelenzustände in unverhüllter Form zu sehen.
»Ich wüsste gern, wie du das findest, wenn er dir den Hof macht«, sagte sie.
Ich starrte sie sprachlos an.
»Ich will hören, wie du mit der Langeweile umgehst, Rosie«, fuhr sie fort. Sie wurde rot, redete aber weiter. »Ich bin ja kein Bücherwurm wie du, aber selbst bei mir weiß Andy oft nicht, wovon ich rede. Er hat noch nie ein Buch gelesen, soviel ich weiß, außer vielleicht irgendwelche Anleitungen, wie man sich den Tierarzt sparen kann oder so. Er hat noch nie von Mitterand oder von Lou Reed oder von Solschenizyn gehört – na ja, das ist nicht fair, das mit Solschenizyn -, aber er kennt auch Andy Warhol nicht und weder James Connolly noch Seamus Heaney oder Billy Joel. Er sieht nicht gern fern. Er sagt, er ist immer in Afrika oder er muss Sachen im Haus oder auf dem Hof machen, deshalb hat er keine Freizeit, und die Zeitung liest er auch nur sonntags. Man kann sich mit ihm über nichts unterhalten. Ich würde zum Beispiel schrecklich gern mal in die Toscana fahren und das am liebsten mit einem Mann, aber als ich das Andy erzählt habe, hat er gefragt: ›Und wo genau ist diese Toscana?‹«
Sie redete hastig, mal stärker angespannt, mal weniger.
»Andy war mein einziger Hoffnungsschimmer, und ich mag ihn sehr. Ich mochte ihn schon immer. Wir verstehen uns in allen Alltagsdingen sehr gut – wir können nur nicht miteinander reden. Aber jetzt ist er dauernd bei dir. Ich kann das nicht fassen. Bei dir! Ich meine – ich langweile dich ja schon, dabei bin ich gar nicht mal so übel. Aber Andy würde es ja nicht mal merken , wenn er dich langweilt. Du hattest doch schon mehr Männer, als ich Finger habe. Du bist viel herumgekommen …«
»Halt, stopp!«, rief ich. »Es ist zehn Uhr morgens, das heißt, wir dürfen noch nichts trinken, aber wir können uns vielleicht eine Kanne schönen starken Tee machen, was meinst du? Wir müssen uns entspannen.«
Wir kochten Tee, trugen ihn nach draußen und öffneten die Packung mit Petits Fours, die eigentlich für das Fest bestimmt waren. Bell, die sich in irgendeinen Winkel verkrochen hatte, gesellte sich zu uns und schlabberte Milch aus einer Untertasse.
»Warum möchtest du denn mit einem Mann reisen?«, fragte ich Tess.
»Meinst du, wohin ich reisen will?«
»Das hast du ja schon gesagt. In die Toscana. Ich meine, warum mit einem Mann?«
»Ach so.« Sie musterte mich unsicher. »Du weißt doch – das Übliche. Nach einem guten Mittagessen und so.« Schnell fügte sie noch hinzu, um das Gesagte etwas abzumildern: »Und außerdem die Art, wie einen die Leute anstarren, wenn man mit einer anderen Frau unterwegs ist. Zwei alte Hühner, denken sie.«
»Aber würde Andy denn überhaupt – ich meine, Mittagessen hin oder her …«
»Ich dachte, du weißt das«, sagte sie. Ich musterte sie misstrauisch, aber sie grinste nicht.
»Ich habe mit deinem Cousin nie mehr als ein Küsschen auf die Wange ausgetauscht«, sagte ich.
»Ja, schon gut. Aber – was denkst du?« Sie fixierte mich mit ihren ehrlichen Augen.
Sie war meine Freundin, deshalb fragte ich nicht zurück, was ich worüber denke.
»Ich denke, dass er sehr einfühlsam ist, für einen Mann. Man braucht nur zu sehen, wie er mit Hunden oder Katzen umgeht. Aber ich weiß ja nicht, ob du dir jemanden mit Einfühlungsvermögen wünschst.«
»Was wünschst du dir?«
»Was ich mir wünsche?« Ich blickte mich um und trank einen Schluck Tee. Dann holte ich
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