Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
verächtlich grinste.
Einen Moment lang schwiegen wir alle. Der Arzt verschloss seine kleine Tasche mit einem aggressiven Klicken.
»Okay. Wir können sie hierlassen, wenn es ihr so gut geht«, sagte er. Und Andy teilte mir dann den Grund mit, weshalb er so nachgiebig war. » NoNeed ist nach Laos eingeladen worden. Dort genügen zwei Kaninchen, um alle Kinder einer Familie in die Schule zu schicken. Nächste Woche muss ich mich impfen lassen.«
Laos.
»Komm schon, Rose«, sagte Andy, weil ich hartnäckig schwieg, nachdem der Tierarzt davongeeilt war. »Fahr hinter mir her nach Milbay, und dann trinken wir im Nook einen Kaffee, bevor ich losmuss.«
Wir machten uns auf den Weg. Ich sah, wie der kleine Kopf der Hündin verschwand – sie hatte uns interessiert durch den Riss im Türpfosten beobachtet, um herauszufinden, wer blieb und wer ging. Sie wollte auf keinen Fall, dass jemand sie bemerkte, und dachte wohl, ich könnte sie nicht sehen. Sie kapierte nicht, dass ich ein Bein oder ihren Schwanz oder den ganzen Körper sehen konnte, auch wenn ich ihr Gesicht nicht sah.
»Ich frage mich ja trotzdem, was aus Mins Grundstück wird«, sagte Andy im Café. »Da, wo ich wohne, verkaufen sie viel Land, und es werden überall neue Häuser gebaut. Warum soll es in Milbay anders sein? Aber vielleicht will sie es ja doch behalten, wenn sie es noch mal gesehen hat.«
»Min hasst Stoneytown«, sagte ich. »Sie hasst Geschichte, ganz grundsätzlich. Ihrer Meinung nach sollte es keine Vergangenheit geben. Ich wette, sie weiß gar nicht, dass die USA früher mal den Engländern gehört haben. Oder sonst irgendetwas über dieses Land. Und das ist ihr gerade recht. Hoffentlich geht es ihr gut, wenn sie wieder nach Hause kommt, nach diesen Eskapaden. Hoffentlich wird sie nicht wieder krank.«
»Was meinst du mit ›krank‹?«
»Sie wollte nichts essen, sie wollte nicht aufstehen …«
»Vielleicht hat sie sich nicht gut gefühlt …«
Ich schaute ihn an, bis er den Blick senkte.
»Okay, okay«, sagte er widerstrebend. »Ich weiß, dass sie auch gern mal zu tief ins Glas geschaut hat.«
»Sie hat nicht mit mir geredet!«, rief ich.
Er verblüffte mich, indem er meine Hand nahm und sie einen Moment lang sanft an seine Wange legte.
»Arme Rosie«, murmelte er. »Min fehlt bestimmt nichts, was nicht wieder besser werden kann. Sie ist eine tolle Frau, deine Tante, und du bist auch eine tolle Frau und die beste Nichte, die man sich wünschen kann. Du machst dir nur zu viele Gedanken. Und bitte, glaub mir, was ich sage – nur dieses eine Mal. Ich verstehe nämlich was von Frauen.«
Ich schaute ihm nach, als er ging, ein schmaler, durchschnittlicher Mann, der gut zu den Menschen in dieser Kleinstadt passte. Im Grunde war er mir ein Rätsel, obwohl ich ihn manchmal lesen konnte wie ein Buch – ich wusste zum Beispiel, er hatte es bewusst so eingefädelt, dass der Tierarzt da war, als er mir von Laos erzählte. Er wollte, dass meine Reaktion, egal, wie sie ausfiel, auf jeden Fall gedämpft wurde. Ich wusste auch, dass ihn noch etwas anderes, etwas Wichtigeres beschäftigte. Er hatte nicht vorgeschlagen, dass ich bis Milbay mitkam, nur um allgemein ein bisschen zu plaudern. Aber dann hatte er offenbar beschlossen, es doch nicht anzusprechen.
Er ging die Stufen zum Parkplatz hinauf. In den gleichen unauffälligen Klamotten wie alle anderen Leute hier. Man sah, dass er eine Glatze bekam, wie fast sämtliche mittelalten Männer in dieser Gegend. Weshalb hatten so viele Amerikaner in diesem Alter noch dichtes Haar? Die ganzen Senatoren, mit ihren wunderschönen weißen Mähnen. An der Milch konnte es ja wohl kaum liegen, oder?
Ohne lange nachzudenken, ging ich in die Bibliothek. Dort wartete ich hinter einem Mädchen, das gerade die Website von Friends studierte. Ich atmete deutlich hörbar, bis sie endlich den Computer freigab und ich einen Brief, den ich an Leo geschrieben hatte, ausdrucken konnte. Die Frau an der Ausleihe schenkte mir einen braunen Briefumschlag und schob meinen Brief zwischen die Post der Bibliothek, die demnächst abgeholt wurde, während ich einen Euro in die Sammeldose auf dem Schreibtisch warf. Für die Obdachlosen. Die
Heimatlosen. Zu denen Leo, in gewisser Weise, ja auch gehörte.
Milbay/Kilbride, Telefon 1-387-3896
Mein lieber Leo,
ich habe Dir im Juni geschrieben und von dem Grundstück erzählt, wo ich diesen Sommer wohne – das alte Haus, das mein Großvater ganz vorne auf einer Halbinsel
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