Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
ja schließlich, dass einem bewusst wird: Die Uhr tickt.
MarkC an RosieB (abgeschickt 12:40)
Hör bloß auf mit diesem europäischen Pessimismus! Als Nächstes zitierst du noch Samuel Beckett. Ich habe mich mit den Frauen unterhalten, die hier im Kongresszentrum Kaffee servieren – alle keine jungen Mädchen mehr, im Gegenteil, aber sie sagten, für sie ist das jetzt die beste Zeit ihres Lebens. So könnten wir das Buch doch auch nennen – 50 plus! Die allerbeste Zeit des Lebens !
MarkC an RosieB (abgeschickt 13:30)
LETZTE MELDUNG
Chico hat gerade angerufen. Er sagt, die maximale Wortzahl bei Louisbooks ist 1.500.
RosieB an MarkC (abgeschickt 13:45)
Nicht schlecht. Da bleibt uns genug Platz für Überschriften, Statistiken etc.
MarkC an RosieB (abgeschickt 13:50)
1500 Wörter für das ganze Buch.
RosieB an MarkC (abgeschickt 13:53)
Soll das ein Witz sein? Die großen Schriftsteller, Philosophen und Religionsstifter haben Jahrhunderte damit verbracht, über die Grundfragen des Lebens nachzudenken. Und für gute Ratschläge haben sie noch viel länger gebraucht. ICH HOFFE DOCH SEHR, DAS IST NICHT ERNST GEMEINT!
MarkC an RosieB (abgeschickt 14:00)
Ich habe noch mal mit Chico gesprochen. 1500 Wörter – und kein Wort mehr. Also, machst Du’s, oder machst Du’s nicht?
RosieB an MarkC (abgeschickt 14:45)
Gut, okay.
Ich mach’s.
Schließlich bin ich ein Profi. Ich schreibe ja auch Auftragsbroschüren.
Hier ein Beispiel: Gedanke@150Wörter.
Vieles, was wir in unserer Jugend erleben und erfahren, scheint (10) spurlos zu verschwinden. Aber das stimmt nicht. Es ist wie (20) bei den Pflanzen, die man im Winter für den Frühling (30) wegstellt: Wir wissen nicht, welche unserer Erfahrungen Blüten treiben und (40) Früchte tragen werden.
Wir müssen abwarten, um es herauszufinden.
In (50) den mittleren Jahren hat dieses Warten ein Ende. Jetzt ernten (60) wir, was wir gesät haben.
Das ist eine wunderbare Erkenntnis(70): dass wir weiterleben müssen, um herauszufinden, welche Elemente unseres Lebens (80) sich in der Zukunft bewähren. Aber wir brauchen Geduld. Wir (90) wissen nicht, was wir für die Zukunft vorbereitet haben. Das (100) erfahren wir erst, wenn die Zukunft Gegenwart wird.
Und dann (110) geschieht ein Wunder: Die Vergangenheit, die verlorenes Terrain zu sein (120) schien, ist nicht verloren, solange wir weiterleben.
Und genau aus (130) diesem Grund sind die mittleren Jahre für uns eine Zeit (140) der Wunder.
Weil wir endlich begreifen, wie selten Wunder sind! (150)
MarkC an RosieB (abgeschickt 17:30)
Ich habe Deinen Text sofort an Chico weitergeleitet. Er hat gerade angerufen und gesagt, die Iren seien bekannt für ihre Sensibilität, und er schließt sich dieser Meinung uneingeschränkt an.
Natürlich sind die Menschen hier sehr höflich, manchmal zu höflich. Wir haben keinen Vertrag und auch nichts, das aussieht wie ein Vertrag.
Kannst Du nicht einfach zehn solcher »Gedanken« schreiben? Ich muss gestehen, ich würde nicht mal einen einzigen hinkriegen. Gibt es wirklich zehn verschiedene Arten, wie man Menschen mit 150 Wörtern inspirieren kann?
RosieB an MarkC (abgeschickt 19:00)
Kein Problem! Die »Gedanken« sollen für Menschen in unserem Alter sein, stimmt’s? Wenn ich mir mein eigenes Leben anschaue, sehe ich verschiedene Bereiche für positive Erfahrungen: mein Körper (nicht oft genug), ein bisschen Geld, Freundschaften, die Kunst, Reisen, Tiere – selbst über Mins Katze Bell, die mich nicht besonders mag, freue ich mich – und das Essen. Und ganz zentral ist natürlich der Entschluss, nicht aufzugeben: Ich finde, das Weitermachen ist an sich schon ein Wert. Das sind schon neun Themenkreise, stimmt’s? Wenn man den ersten Text über die Wunder der mittleren Jahre mitzählt. (Und dass es diese Wunder gibt, stimmt – wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Du und ich je gemeinsam so etwas machen würden? Das ist doch schon ein kleines Wunder.) Und der zehnte Punkt wird mir schon noch einfallen, wenn ich so weit bin.
Okay?
MarkC an RosieB (abgeschickt 19:10)
Genial.
Arbeitstitel: Zehn Gedanken über den mittleren Abschnitt der Reise .
Morgen Abendessen – ich bin gegen 19 Uhr in Deinem Hotel.
Schlaf gut, Rosie.
Das macht echt Spaß!
6
I m Verlauf des Abends klingelte irgendwann das Telefon. Ich dachte natürlich, es sei Markey.
»Rosie? Bist du das, Rosie? Hallo? Peg –
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