Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
natürlich das amerikanische Vokabular, während Min ihren irischen Wortschatz auspackte. Das führte zu allen möglichen Missverständnissen.
Rila fragte zum Beispiel lachend: »Wo ist Daffy, bitte?«
»Nein! Wo ist Daddy , bitte«, verbesserte Min.
»Aber Daffy ist ein Bekleidungs-Discounter. Gutes Geld.«
»Gute Qualität für wenig Geld, Rila. Wo ist der Laden? Ich muss mir nämlich noch ein paar Sachen kaufen.«
»Ich begleite dich, Min«, sagte ich. »Daffy ist am Broadway.«
»Ach, da kenne ich mich aus«, sagte Min. »Ich war heute Morgen schon dort.« Und schon begann sie zu singen: »My feet are here on Broadway this blessed harvest morn’.«
»Morning«, korrigierte Rila sie streng.
Wie sich herausstellte, war Min in aller Frühe aufgewacht und wegen der Zeitverschiebung nicht wieder eingeschlafen. Also hatte sie kurz entschlossen ein paar Dollar aus meinem Geldbeutel geklaut und sich auf die Suche nach einem Frühstück gemacht.
»Ich hatte Hunger«, erklärte sie Rila. »Gestern habe ich nur indisches Essen bekommen. Kein Wunder, dass die Inder alle so dünn sind.«
»Heißt das, du hast schon gefrühstückt?«, erkundigte ich mich.
Offenbar hatte sie doch noch nichts gegessen, aber mir war nicht klar, ob sie meinetwegen ins Hotel zurückgekommen war oder weil sie nicht wusste, wie man hierzulande ein Frühstück bestellte.
Ähnliche Situationen gab es während der nächsten vier Tage ziemlich häufig. Immer wieder versetzte mich Min in Erstaunen, weil sie so unternehmungslustig war und weil sie vieles wusste, aber dann wieder war ich fassungslos, weil sie oft von den alltäglichsten Dingen keine Ahnung hatte. Sie weigerte sich zum
Beispiel strikt, in einen Waschsalon zu gehen, und beharrte darauf, dass man nur den Waschmaschinen in Kilbride trauen konnte. Was zur Folge hatte, dass sich unser edles Hotelzimmer blitzschnell in einen neapolitanischen Slum verwandelte: Mins T-Shirts und ihre scheußlichen schwarzen Baumwollstrumpfhosen hingen zum Trocknen über den Lampen. Sie wollte kein Taxi nehmen, und auch die U-Bahn gefiel ihr nicht, dafür kannte sie sich sofort bestens mit dem New Yorker Bussystem aus. Luisa, die Frau, die unser Zimmer putzte, gab ihr eine Metro-Karte, die ein Gast dagelassen hatte, und als die beiden die Karte testeten, stellte sich heraus, dass noch zwanzig Dollar drauf waren. Min konnte sich an alles erinnern, was sie je im Fernsehen gesehen hatte, egal, ob es eine Sendung über die Große Depression oder über die Geschichte des Central Park war. Aber es stellte sich heraus, dass sie keine Ahnung hatte, wer Napoleon war, obwohl ich schon öfter gehört hatte, wie sie traditionelle Lieder über ihn sang. Sie wusste auch nicht, welche Nationalität Shakespeare hatte. Und jeden Morgen gab ich ihr ein Bündel Dollarscheine, die sie sorgfältig in ihrer Handtasche verstaute, aber es interessierte sie nicht im Geringsten, wie viel die Scheine wert waren. Sie hatte überhaupt kein Gefühl für Geld und schien gar nicht auf die Idee zu kommen, dass sie sich damit alles Mögliche kaufen konnte.
Das liegt bestimmt daran, dass sie nie auch nur einen einzigen Penny übrig hat, dachte ich irgendwie beschämt. Sie lebt seit jeher am Existenzminimum.
Wir begannen unsere Tour durch Manhattan mit einem Bus, der uptown fuhr, also in Richtung Empire State Building. Min spendierte die Fahrkarten.
Und danach hakten wir innerhalb von drei Tagen alles systematisch ab: Saint Patrick’s Cathedral, Bloomingdale’s, Fraunces Tavern und den ehemaligen Sklavenfriedhof Negro Burying
Ground. Und natürlich Radio City und das Dakota. Wir gingen zu Barney’s, um die Frauen zu bewundern, die dort einkauften. Sie waren so dünn wie Bleistifte, mit langen, knochigen Beinen, sie waren wunderschön geschminkt, hatten alle glänzende lange Haare, trugen schwarze Klamotten und waren so federleicht, dass sie kaum den Boden zu berühren schienen.
»Sie sind wie diese – wie heißen sie noch mal, diese Tiere mit den Hörnern?«, murmelte Min beeindruckt.
»Antilopen«, sagte ich.
»Hast du gesehen, wie viele Einkaufstüten sie herumschleppen, Rosie? Und ist dir aufgefallen, wie sie lächeln? In Kilbride sagt man immer, dass bei den dünnen Frauen irgendwas nicht stimmt, aber hier sind die dünnen die glücklichsten.«
Die Szenerie fing an mich zu langweilen. »Sollen wir uns vielleicht ein paar echte Antilopen ansehen?«
Wir nahmen den Bus zum Zoo in der Bronx und fuhren mit der
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