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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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saß auf einem
hohen Hocker am Tresen und plauderte mit der Bedienung. Das junge Mädchen fragte sie, ob sie zu ihrem Sandwich ein Glas Wein oder lieber ein Bier trinken wolle. Am liebsten hätte ich empört geschnaubt, als Min ihr fröhlich versicherte, sie trinke nie zum Mittagessen, weil sie dann schläfrig werde. Ich beherrschte mich jedoch und schlug meine New York Times auf, um einen Blick auf die neuesten Nachrichten zu werfen.
    Aber ich konnte mich nicht konzentrieren.
    Wenn man gemeinsam mit einer anderen Frau Urlaub macht, wird man entsexualisiert, dachte ich. Ich hätte gern gewusst, ob meine merkwürdige Tante das ebenfalls spürte. Dachte sie je darüber nach, was es hieß, eine Frau zu sein und nicht ein Mann, eine Qualle oder eine Wolke? Was genau hatte sie gemeint, als sie sagte, Markey würde ihr hervorragend in den Kram passen? Hatte sie damit etwa gemeint, im Bett? Das konnte doch nicht wahr sein. Immer, wenn ich Reeny besuchte und sie und Min und vielleicht auch noch Andys Mutter Pearl gemeinsam fernsahen, erschien seit jeher derselbe Ausdruck auf ihren Gesichtern, sobald beispielsweise Zsa Zsa Gabor auf dem Bildschirm erschien, die ja bekanntlich mehrere Ehemänner gehabt hatte. Die drei Frauen ließen sich noch nicht mal zu verächtlichen Bemerkungen hinreißen, nein, sie musterten diese Damen, mit ihren Faceliftings, ihren Scheidungen und den strahlend weißen Zähnen nur absolut geringschätzig, fast teilnahmslos, als wären sie so eindeutig verrückt, dass es sich gar nicht lohnte, über sie zu reden. Und wenn es in einer Sendung um Liebe ging, wurden ihre Mienen sogar noch unbeteiligter. Dabei hatten sie doch bestimmt früher auch irgendwann einmal zärtliche Worte gehört und sie jemandem ins Ohr geflüstert. Jeder wusste, dass Reenys Mann ihr einen Monat, nachdem er gegangen war, eine Karte geschrieben hatte, um ihr zu sagen, dass er sie liebe – der Postbote war schreiend die Straße hinuntergerannt. Und Andy schickte seiner Mutter seit mindestens
zwanzig Jahren regelmäßig eine Valentinskarte. Das wussten alle. Er sagte, sein Vater hätte das von ihm erwartet.
    Aber Min … Höchstwahrscheinlich hatte sie wirklich keine Erfahrung mit Liebesschwüren. Als sie zu uns kam, war sie fünfzehn. Vierzehn Jahre später starb mein Vater. Mehr hatte Min nicht erlebt. Auch hier nur das absolute Existenzminimum.
    Als wir den Imbiss verließen – »Wie kann das nur sein, Rosie, dass die hier noch nie etwas von Entenmuscheln gehört haben?« -, wusste meine Tante über alles Bescheid. Sie kannte den Namen, die Lebensgeschichte und die kurzfristigen Pläne des jungen Mädchens hinter dem Tresen. Und als wir wieder in unser Hotel kamen, verschwand sie sofort durch die Tür hinter der Rezeption. Ich wusste, dass sie mit ein paar Frauen aus Lateinamerika und Osteuropa, die hier im Hotel arbeiteten, zur Abendmesse gehen wollte. Sie gingen alle in die riesige katholische Backsteinkirche, nicht weit von der Fulton Street, und von den anschließenden Treffen in der Sakristei kannte Min noch mehr Leute.
    Sie war auch bei einem Abend für Volkstanz gewesen, gemeinsam mit einer Mexikanerin namens Luz, die ungefähr doppelt so groß war wie Min, auch ohne ihren pinkfarbenen Turban. Luz hatte ein strahlendes Gesicht und einen verblüffend britischen Akzent, der richtig nach Oberschicht klang. Den hatte sie erworben, als sie für die Auslandsauskunft arbeitete. Jetzt war sie Köchin, weil sie da besser verdiente. Min sagte, Luz schicke jeden Penny nach Mexiko, weil ihre Tochter sieben Kinder habe.
    »Ihre Tante gibt uns erstklassige Ratschläge!«, sagte Luz zu mir, ehe die beiden zu ihrem Tanzabend aufbrachen. Als Min nach Hause kam, zog ich sie damit auf.
    »Du lieber Gott – seit wann gibst du den Leuten hier gute Ratschläge, Min Connors? Du hast doch keine Ahnung von New York!«

    »Ich gebe allgemeine Ratschläge«, erwiderte sie hoheitsvoll. »Im Grund sind die Menschen überall auf der Welt ganz ähnlich.« Und nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: »Erinnerst du dich, wie du mich gefragt hast, warum ich so lange brauche, um von der Messe nach Hause kommen? Tja – wir sagen immer ein paar Gebete am World Trade Center, da, wo man an dem Drahtzaun stehen darf. Die Lichter blenden einen richtig. Die Leute, die dort umgebracht wurden, haben alle gearbeitet. Und arbeitende Menschen sind überall gleich.«
     
    Auf der Rückfahrt von New Jersey war es zu kalt, um auf Deck zu bleiben, und wir saßen dicht

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