Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
schwachsinnigen alten Frauen gesteckt hast. Ich will noch was vom Leben haben. Deshalb bin ich hierhergeflogen. Ich habe noch keine Lust zu …«
Und mitten im Satz schlief sie ein.
RosieB an MarkC
Min und ich wollen uns ganz Manhattan ansehen, rauf und runter, bevor wir wieder abreisen. Darum möchte ich während der restlichen Tage hier eigentlich nicht arbeiten – ich will nur auf die Inspirational Books Fair gehen. Was denkst Du – können wir fragen, ob wir eventuell ein paar zusätzliche Wörter haben dürften? Oder sollen wir uns einfach die Freiheit nehmen und mehr schreiben? Mir ist eine Art Vorwort eingefallen – es ist nur ein Entwurf, versteht sich.
Das Buch ist kurz, aber in dieser Kürze liegt auch seine Kraft. Es beschäftigt sich mit einer ganz speziellen Phase im Leben – mit dem Plateau zwischen dem Ende der Jugend und dem Beginn des Alters. Und mit der Zeit und der Vergänglichkeit. Ein großer deutscher Schriftsteller sagte einmal: »Das Nachdenken über die Zeit aber ist nicht natürlich und will das nicht sein. Es ist die Arbeit des sich ent-setzenden Menschen, dessen, der nicht mehr in sich ruht, weil ihm die Unruhe keine Ruhe lässt …«
Als Nächstes würde ich dann darüber reden, wie groß die Versuchung ist, den ganzen Themenkomplex zu meiden. Wie findest Du das?
7
E r rief an, als ich noch schlief. Ich dachte zuerst, ich träume, weil es so klang, als würde er kichern. Die Strahlen der Morgensonne leuchteten über den Dächern der Bürotürme von New Jersey und erreichten auch unsere wunderschönen Hotelbetten. Mins Decke war zurückgeschlagen. Anscheinend war meine Tante schon im Bad.
Ja, er kicherte tatsächlich! »Wo hast du nur diesen tiefsinnigen Denker aufgetrieben, Rosie? Ich wette, du hast ihn erfunden! Komm schon, gib’s zu, dass du ihn erfunden hast.«
»Nein, ganz im Gegenteil – Jean Améry ist berühmt für seine Gedanken zum Thema Alter. Glaube ich jedenfalls. Er hat Selbstmord begangen. Ich kannte ihn auch nicht, aber dann habe ich irgendwo dieses Zitat von ihm gelesen – dass man ab einem bestimmten Punkt im Leben nur noch an die Zeit denkt.«
»Rosie …«
»Und ich finde, das stimmt. Plötzlich merkt man ganz genau, dass …«
»Rosie!«
»Ja?«
»Bitte – keine deutschen Philosophen. Und erst recht keine depressiven deutschen Philosophen, die Selbstmord begangen haben. Das ist Regel Nummer eins.«
»Er war gar kein Deutscher. Ich habe mich nur nicht getraut zu sagen, dass er aus Österreich stammt. Und was den Pessimismus
angeht – es stimmt doch einfach, dass er der Realität eher gerecht wird.«
»Wieso wird ein Pessimist der Realität eher gerecht als ein Optimist?«
»Markey, dieser Mann war in Auschwitz.«
»Bitte keine Auschwitz-Überlebenden. Das ist Regel Nummer zwei. Hör zu, Rosie. Erinnerst du dich an Debbie Reynolds? Erinnerst du dich an Gidget? Oder an die junge Judy Garland in dem Film Osterspaziergang ? Das sind die Leute, denen wir unser Buch verkaufen wollen, diese jungen Mädchen, die allmählich älter werden, nette Frauen mit offenen Gesichtern, die aussehen wie fünfzig, obwohl sie schon vierundsechzig sind, die immer noch schicke Hüte tragen – also liebenswerte Menschen, die keine Ahnung haben von den dunklen Seiten des Lebens, Rosie.«
»Aber Markey!«, rief ich. »Es gibt diese dunklen Seiten, und wir …«
»Glaubst du vielleicht, Joan Rivers denkt nur eine Sekunde darüber nach, dass die Zeit vergeht?«, unterbrach er mich. »Oder Warren Beatty? Henry Kissinger? George W.?«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte ich ungeduldig. »Solche Leute denken nicht über so was nach. Aber Philip Roth.«
»Philip Roth beschäftigt sich in erster Linie mit Amerika«, sagte Markey mit Nachdruck. »Warum kannst du nicht noch mal so was schreiben wie deinen ersten Text? Versuch doch einfach, dich der amerikanischen Gewohnheit anzupassen, bei allem immer die positiven Aspekte zu sehen. Du solltest wirklich unbedingt auf diese Messe gehen. Sag Min, ich hätte gesagt, du musst. Und glaub mir, Rosie – dort begegnest du garantiert keinem deutschen Philosophen.«
Das Badezimmer war leer. In meiner Panik rief ich bei der Rezeption an. Und tatsächlich – Min unterhielt sich gerade mit der eleganten blonden Frau, die dort arbeitete. Sie hieß Rila und
stammte aus Taschkent, wie sie mir mitteilte. Als ich nach unten kam, waren die beiden gerade dabei, ihre Englischkenntnisse zu vergleichen. Rila beherrschte
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