Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
nebeneinander unten in der Kabine. Als wir uns Manhattan näherten, gingen gerade überall in den hohen Bürotürmen der Wall Street und drum herum die Lichter an.
»Ich habe noch mal über die Tage seit meiner Ankunft nachgedacht«, verkündete Min, »und es gibt nur einen Punkt, der mir nicht passt.«
Ich war ehrlich gespannt.
Offenbar hatte sie etwas gegen die Türen bei den amerikanischen Toiletten. Sie gingen nicht ganz bis zum Boden, weshalb man die Füße sehen konnte, und das fand sie geschmacklos.
»Ach, Min! Ich glaube, du könntest noch ganz andere Sachen aufzählen. Die Amerikaner haben charmante Umgangsformen, aber viele von ihnen glauben an schreckliche Sachen. Und ihre Regierung mischt sich permanent in die Angelegenheiten anderer Staaten ein.«
»Was soll das heißen, ihre Regierung?«, rief Min empört. »Was ist mit den anderen Regierungen? Sie haben schließlich die Flugzeuge nicht selbst gesteuert.«
»Nein, das nicht, aber es gab Gründe dafür.«
»Ach ja, da fällt mir noch was ein. Ich kann die Schalter an den Lampen nicht leiden. Warum kann man nicht einfach auf
den Schalter draufdrücken, wie bei uns? Warum haben sie diese kleinen Rädchen? Entweder diese Rädchen oder einen winzigen Knopf, der heraussteht und den man mit den Fingern drehen muss. Das ist doch unpraktisch.«
»Du weißt genau, was ich meine«, entgegnete ich.
Aber darauf ging sie nicht ein. Okay, die Menschen hierzulande waren komplett unfähig, eine anständige Tasse Tee zu kochen. Und man sah nie eine weiße Frau einen Kinderwagen schieben. Aber abgesehen davon waren die Vereinigten Staaten perfekt.
8
A n unserem letzten Tag vor der Abreise ging Min los, um sich mit ihren Freundinnen zu treffen, während ich mich zu der Messe im Sheraton begab, zur Inspirational Books and Collectibles Fair .
»Du müsstest wirklich hier sein«, sagte ich zu Markey, als ich ihn von einem Münztelefon im Foyer aus anrief. »Vor allem müsstest du dir die Leute ansehen, die Father Murphy’s Irish Chicken Soup herausbringen.«
»Ach, nein!«, stöhnte er. »Warum ist uns das bloß nicht eingefallen?«
»Auf jeden Fall haben sie ihre Ecke mit riesigen Kleeblättern und grün-weiß-orangefarbenen Flaggen dekoriert, und eine Art keltische Jungfrau mit langen blonden Zöpfen schaut aus einer runden, strohgedeckten Hütte heraus, die das alte Irland symbolisieren soll. Im Stroh sind Porträts von Joyce, Yeats und Beckett aufgestellt – ach ja, und von Edna O’Brien!«
»Na und?«, sagte er. »Wenn es den Verkauf fördert …«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich hätte gedacht, wenn es einen Schriftsteller gibt, der nicht in die Ratgeber-Sparte passt, dann ist das Samuel Beckett. Aber du hast völlig recht – es funktioniert. Bei diesem Stand bleiben mehr Leute stehen als bei allen anderen. Die Verleger verteilen grüne Baseballmützen, auf denen Celtic Chicken Soup steht.«
»Klasse Idee!«
»Überhaupt wirkt der ganze Raum wie eine riesige Spielgruppe. Nein, eher wie der Chor in einer Oper. Da gehen die Chorsänger doch auch immer hin und her, raus und rein, mit Tamburin und Obstkörben oder mit Hochzeitsgirlanden. Erwachsene Menschen, die sich total lächerlich aufführen. Genauso ist das hier. Und was die blonde Frau mit den Zöpfen betrifft – erinnerst du dich noch, was ein Kritiker mal über Ava Gardner gesagt hat? Ich glaube, es war über ihre Rolle als Königin Genever in Die Ritter der Tafelrunde . ›Sie mag als mittelalterliche Dame vielleicht nicht ganz überzeugend wirken, aber sie weiß sehr genau, wie man sich über eine Balkonbrüstung beugt.‹«
Markey musste lachen. Ich auch. Aber ich wollte trotzdem von ihm hören, dass das, was wir zusammen planten, nicht in dieselbe Kategorie gehörte wie zum Beispiel dieses Ding mit Father Murphy’s Irish Chicken Soup .
»Es ist lustig hier, Markey, sehr unterhaltsam – aber total infantil«, sagte ich. »Vor allem die Bücher. Unser Projekt kann ich mir hier nicht so recht vorstellen.«
»Warum nicht?«
»Na ja, schon allein deswegen, weil das Thema nicht so wahnsinnig lustig ist. Die Phase des Lebens, in der man sich selbst noch als jung empfindet, während alle anderen das schon längst komplett anders sehen, hat nichts Witziges. Und in den mittleren Jahren muss man sich auch auf den nächsten Lebensabschnitt vorbereiten, und der ist dann echt schwierig. Wenn zum Beispiel die Menschen sterben, die man liebt. Und wenn der eigene Tod immer näher rückt.
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