Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
ändert nichts«, erwiderte Markey. »Bei manchen Dingen ist der Faktor Zeit bedeutungslos. Freud schreibt in ›Zeitgemäßes über Krieg und Tod‹, dass im Unbewussten jeder von seiner Unsterblichkeit überzeugt ist.«
»Sieh doch nur, diese riesigen Granitblöcke!«, rief ich, weil ich verhindern wollte, dass er noch mehr von Freud zitierte.
»Weißt du, wer die Mauern bauen ließ?«, fragte er. »Rate mal.«
»Keine Ahnung.«
»Captain Bligh. Er war Hafenmeister in Dublin, bevor er Kapitän auf der Bounty wurde.«
»Echt?« Ich blieb abrupt stehen. »Marlon Brando!«
Das war für Markey das Stichwort. Er ging ein Stückchen vor mir, wie meistens. Über die Schulter teilte er mir mit, dass er Marlon Brando demnächst mit eigenen Augen sehen werde. Er habe vor, noch am selben Abend nach London zu fahren. Und dann weiter in die USA, sobald er das Geld für den Flug zusammenhatte.
Ich geriet ins Stolpern, aber er drehte sich nicht nach mir um. Verzweifelt folgte ich ihm durch das hüfthohe Gras. Endlich blieb er stehen und zeigte mir die kunstvoll gemeißelten Türstürze an einem verfallenen Gebäude. Früher sei hier eine Isolierstation für Fieberkranke gewesen, erklärte er mir.
»Hier draußen sind nur traurige Dinge passiert«, murmelte ich.
»Stimmt doch gar nicht!«, protestierte Markey und trug voller Begeisterung den Anfang eines Gedichts vor: »›I will live in Ringsend with a redheaded whore …‹«
Ich kannte dieses Gedicht von Oliver St. John Gogarty. Aber im Moment wollte ich nichts von rothaarigen Huren wissen. »Man hört nur das Wort ›Ich‹«, brummte ich. Damals war Amerika so weit weg, dass die Leute, die hingingen, jahrelang nicht zurückkamen – wenn überhaupt. »Ich, ich, ich! Und dann noch ›rothaarig‹. Die Haare sagen doch gar nichts aus über eine Frau. Wenn du mich als ›die mit dem dichten, gewellten Haar‹ bezeichnen würdest – wäre das vielleicht eine erschöpfende Beschreibung meiner Person?«
»Das ist doch nicht das Entscheidende«, sagte Markey. »In dem Gedicht geht es um ihn, nicht um sie.«
»Warum wird sie dann überhaupt erwähnt? Und was meint er, wenn er sagt: ›I will …‹ Wie wär’s denn, wenn er sie fragen würde? Woher weiß er überhaupt, dass sie mit ihm leben will?«
»Ach, du lieber Gott!« Markey war sauer. »Warum habe ich meine Zeit nur an jemanden wie dich vergeudet, der absolut nichts kapiert?«
»Du hast deine Zeit nicht vergeudet«, rief ich, den Tränen nahe.
Da drehte Markey sich zu mir um und musterte mich einen Moment lang durchdringend. Schließlich erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, und er kam auf mich zu. Links und rechts von ihm das Meer. Der Leuchtturm hinter ihm. Er breitete die Arme aus und drehte sich immer wieder um die eigene Achse. »Leb wohl, Dublin!«, rief er. Ein langer, magerer Junge in einem flatternden Tweedmantel mit Fischgrätmuster, ohne Knöpfe. Als er mich erreichte, lehnte er sein Gesicht an meines. Wir hatten noch nie Wange an Wange gestanden. Ich erstarrte.
Aber er sagte kein Wort. Nichts geschah. Nach einer Minute musste ich die Augen wieder öffnen.
Dan, der Amerikaner, erwartete mich vor dem Gresham Hotel. Er stand auf dem Gehweg und betrachtete die Fassade des Gebäudes. Seine blonden Haare wehten in der leichten Brise, die Sonne schien, und als er mich kommen sah, kam er auf mich zugeeilt und schloss mich in die Arme. Strahlend verkündete er, dass er es ganz toll finde, in dem Hotel zu wohnen, in das in Joyce’ Kurzgeschichte »Die Toten« Gabriel und Gretta nach dem Ball gingen. Dann küsste er mich auf beide Wangen.
»Und das ist nicht das einzige Ereignis, durch das dieses Hotel berühmt geworden ist«, sagte ich stolz. »Shelley – kennst du Shelley? Er war 1812 in Dublin und hat Flugblätter aus dem Hotelfenster geworfen. Und auf den Flugblättern hat er uns aufgefordert, uns gegen die britische Unterdrückung zu erheben.«
»Aus welchem Fenster hat er sie geworfen?«, wollte Dan wissen. »Mein Zimmer geht nämlich nach vorne raus.« Dann schaute er mit einem verlegenen Halblächeln auf mich herunter. »Hast du Lust, mit hochzukommen und es anzusehen?«
»Äh … ich …« Mehr brachte ich nicht heraus.
Ich war noch nie in einem Hotelzimmer gewesen – und schon gar nicht mit einem Mann. »Vielleicht sollten wir uns vorher ein paar Sehenswürdigkeiten anschauen.«
Also gingen wir über die Straße, und ich schmuggelte ihn heimlich ins Rotunda Hospital, weil ich ihm
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