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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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die barocke Kapelle zeigen wollte. »Ist sie nicht fantastisch?«, flüsterte ich. »Dieser Überfluss! Einerseits ist alles ganz schlicht und andererseits so üppig.« Ich zitierte natürlich Markey. Und es fiel mir leicht, mit meinem Wissen anzugeben, weil durch Dans Aufforderung, mit ihm auf sein Zimmer zu kommen, mein Selbstbewusstsein enorm gestiegen war.
    »Irgendwie ist das gar nicht wie Dublin …«, sagte Dan.

    »Es ist das Dublin von früher«, entgegnete ich. »Die Stadt verändert sich. Ich bin in diesem Krankenhaus auf die Welt gekommen – mein Dad hat mir die Geschichte im Laufe der Jahre stückchenweise erzählt -, aber meine Mutter hatte TB. Du weißt schon, Tuberkulose. Sie hat in dem Sanatorium gearbeitet, in dem mein Dad als Patient untergebracht war, und da hat sie sich angesteckt. Gleich nach meiner Geburt ist sie wieder dort eingeliefert worden, weil sie ansteckend war und man wusste, dass sie nicht mehr lange leben würde. Sie ist gestorben, ohne mich je richtig gesehen zu haben. Ich wurde nicht mal ans Fenster gehalten, damit sie mich begrüßen konnte. Man hat ihr auch nicht gesagt, dass sie wieder ins Peamount Hospital gebracht wird. Wenn eine Mutter stirbt, reden alle Leute darüber, wie schlimm es ist, dass sie ihr Kind nie gesehen hat. Irgendwie finde ich das sehr einseitig. Was ist denn mit dem Kind? Ich habe sie doch auch nie gesehen.«
    Er nahm meine Hand. »Arme kleine Rosie.«
    Dann gingen wir zu dem verlassenen jüdischen Friedhof im Stadtteil Fairview. Ich war auf dem Heimweg von der Schule dort immer über die Mauer geklettert, und auf dem Stein stand ein merkwürdiges Datum – 5904 oder so etwas Ähnliches. Weil Dan mit Nachnamen Cohen hieß, vermutete ich, dass er Jude war. Ich hatte noch nie mit einem Juden geredet.
    »Lass mich ja nicht fallen. Du musst die Hände ineinander verschränken, damit ich darauf stehen kann.«
    Mein linker Fuß steckte in einer Mauervertiefung, die ich noch von früher kannte, aber der rechte hing in der Luft. Dan, der direkt unter mir stand, drückte mich lachend nach oben, eine Hand auf jeder Pobacke. Aber weil ich ebenfalls lachen musste, konnte ich mich nicht richtig festhalten, und wir mussten noch einmal von vorne anfangen. Diesmal schob er mir eine Hand zwischen die Beine und hob mich hoch. Hilflos kichernd fiel ich mehr oder weniger über die Mauer und landete drüben
auf einer Böschung. Gleich darauf war Dan bei mir. Wir lagen nebeneinander im Gras, an diesem stillen, geheimen Ort, wo aus dem Gewirr aus Büschen, Unkraut und Efeu unzählige Grabsteine ragten, umgeben von einer hohen Mauer. Es ergab sich fast zwangsläufig, dass wir uns zärtlich aneinanderschmiegten.
    Doch dann sah Dan die Namen auf den Gräbern neben uns, und er wurde ganz ernst. Etwas, was für sich betrachtet einfach nur traurig ist, steigert sich extrem, wenn es ein ganzes Volk betrifft. Ich verstand sehr gut, warum er um diese littauischen Juden trauerte, die aufgebrochen waren, um in die neue Welt zu gelangen, und dann nur bis Dublin gekommen waren. Für mich war der Tod meiner Mutter auch verbunden mit all den Menschen, die zur gleichen sozialen Schicht gehörten wie sie. Niemand hatte sie mit Respekt behandelt, noch nicht einmal, als sie schon im Sterben lag, nur weil sie ungebildet war und kein Geld hatte.
    Wir fuhren oben im 23er Bus zurück in die Innenstadt. Dans Windjacke schützte mich gegen den kalten Luftzug. Am liebsten wäre ich ewig so weitergefahren.
     
    In Kilbride angekommen, stieg ich mit müden Gliedern aus dem Auto, schleppte meinen Koffer zur Haustür und zog den Schlüssel durch den Briefkastenschlitz: Er war an einer Schnur befestigt. Ich hatte Min schon tausendmal gesagt, dass auch die Einbrecher hier aus der Gegend kamen und wussten, wo die meisten Leute ihren Schlüssel versteckten, aber sie glaubte, niemand würde es wagen, bei ihr oder Reeny einzubrechen, weil Monty jeden Dieb umbringen würde.
    In der stillen Küche zog ich erleichtert meinen miefigen Mantel aus.
     
    Damals, am Tag des Gresham Hotels, wanderten Dan und ich vom Bus über das verlassene Gelände, auf dem sich der Rotlichtbezirk
befunden hatte, in dem Leopold Bloom und Stephen Dedalus gelandet waren. Anschließend gingen wir, ohne darüber zu sprechen, zurück zum Hotel und am Portier vorbei die elegante Treppe hinauf. Es war ein schöner Spätsommernachmittag. Die Sonne schickte schräge Strahlen durch die hohen Fenster. Was hätte ich anderes tun können – ich musste

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