Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
herunterkam, legte ich immer großen Wert darauf, dass wir uns gemeinsam die Neun-Uhr-Nachrichten anschauten und nachher darüber redeten.
Aber anscheinend hatte das alles nichts gebracht.
»Warum soll ich denn nach Hause fliegen, wenn du hierbleibst?«, fragte ich sie, als sie endlich wieder aus dem Badezimmer kam. »Ich habe in Kilbride eigentlich nichts zu tun.« Irgendwie brachte ich es nicht fertig, sie ganz direkt zu fragen, ob ich auch in New York bleiben sollte.
Min sagte nichts. Sie lächelte nur sehr nett, zuckte die Achseln und hob die Hände. Ich glaube, diese Gesten sollten so viel heißen wie: »Frag mich nicht, was du tun sollst. Ich habe keine Ahnung.«
Ich merkte, dass ihre Augen rote Ränder hatten. Meine vermutlich auch. Aber vielleicht kam es in ihrem Fall auch daher, dass sie sich gerade das Gesicht gewaschen hatte. Sie tätschelte mir sanft den Kopf, als sie am Sofa vorbeiging, und sagte: »Vergiss bitte nicht, gleich nach dem Metalleimer unter der Spüle zu sehen, wenn du heimkommst.«
RosieB an MarkC
Ich wollte mich nur verabschieden – heute Abend fliege ich zurück. Aber Min erlebt gerade ihr eigenes »Wunder der mittleren Jahre« und will hierbleiben. Sie hat so viele Jobangebote bekommen, dass sie gar nicht weiß, welches sie annehmen soll – alle illegal, versteht sich, sie hat ja nur ein Touristenvisum. Sie ist heute in ein Hostel
namens Estrellita umgezogen. Da wohnt sie direkt neben ihrer neuen Freundin Luz und ist sehr glücklich.
Diese unerwartete Wendung der Dinge bedeutet, dass ich es schaffen sollte, meine »Gedanken« schnell und ohne Probleme zu schreiben.
Ich weiß, Du befürchtest, ich könnte zu europäisch sein, aber andererseits – die Schwierigkeiten der mittleren Jahre haben doch hauptsächlich mit dem Älterwerden zu tun (um nicht zu sagen, mit dem Altwerden). Und am Ende des Älterwerdens erwartet uns der Tod. Falls es jemanden geben sollte, der die fröhlichen, positiven Seiten des Sterbens entdeckt hat, war das bestimmt ein Amerikaner. Bitte gib mir Bescheid, wenn dir ein Name einfällt.
Aber vielleicht bin ich in puncto Zeit und Vergänglichkeit im Moment ein bisschen empfindlicher als sonst. Es ist ein komisches Gefühl, ohne Min in das Haus zurückzukehren, das ich gar nicht ohne sie kenne.
Die Woche hier war trotzdem sehr, sehr schön. Danke für alles, lieber Markey.
MarkC an RosieB
Min war schon immer sehr eigenwillig! Ich wollte, meine Mam wäre auch mal aus dem Alltag ausgebrochen. Was für tolle Frauen sie sind. Sie hätten ein besseres Leben verdient.
Min hat gut daran getan, dass sie einfach weggegangen ist. In New York denkt niemand, dass sie auf Dich angewiesen ist. Sie ist genau richtig hier. Amerika ist anders als Irland – jedenfalls anders als das Irland, das ich kenne. Erinnerst Du Dich noch daran, wie die älteren Männer in Kilbride herumhingen? Den ganzen Tag saßen sie auf dieser Bank. Also hier zwingt dich keiner, in den Ruhestand zu gehen, nur weil du soundso alt bist. Für alle, die arbeiten wollen, gibt es Jobs. Das Alter ist kein Thema. Es wäre gesetzeswidrig, wenn
ich jemanden, der zu einem Vorstellungsgespräch kommt, nach seinem Alter fragen würde. Hast Du je Joan Rivers im irischen Fernsehen gesehen? Joan Rivers ist garantiert noch ein Stückchen älter als Min, aber sie hat das, was die Leute hier bewundern: Sie hat Chuzpe, und sie hat Energie.
Markey
PS: Ich war nicht mehr in Dublin, als dort das Joyce- Symposium stattfand, aber ich erinnere mich gut an die ersten amerikanischen Akademiker. Und ich weiß noch, wie Du gesagt hast: »Ach, schöne, neue Welt, in der es solche Menschen gibt.« Sie kamen immer in die Bibliothek. Erinnerst Du Dich? Wir hatten ja noch nie Mokassins und Cordsamthosen und Chinos und Kaschmirschals und diese weichen Baumwollhemden gesehen. Oder weiße Regenmäntel – meine Güte, diese Regenmäntel! Ich glaube, ich bin ihretwegen in die USA gegangen, obwohl ich damals eher tot umgefallen wäre, als so einen Mantel anzuziehen (die man, wie ich später erfuhr, Duster oder Staubmäntel nannte).
9
W ährend sich alle anderen im Flugzeug Natürlich blond anschauten, spähte ich durch den Schlitz unter der Sichtblende nach draußen und sah, wie der Mond seinen seidigen Glanz über einen Teppich aus weichen Wolken breitete, die sich der Erdkrümmung anpassten. Wie kommt es, dass wir Menschen immer vergessen, dass wir mit unserem Planeten durch das Weltall sausen?, fragte ich mich.
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