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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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Ich fröstelte. Vielleicht war Bell ja guter Laune, dann würde sie sich zu Hause an mich kuscheln, wenn ich ins Bett ging. Dafür wäre ich im Moment richtig dankbar. Tiere sind genau das Gegenteil von kalter Leere; sie sind warm und elementar. Und sie erwarten keine Antworten, weil sie gar nicht wissen, dass es Fragen gibt.
    Ich drehte und wand mich auf meinem Platz, in der Hoffnung, irgendwie eine bequeme Position zu finden, aber ich konnte nicht einschlafen. Nach einer Weile döste ich immerhin ein paar Minuten, wachte aber gleich wieder auf, weil die Schnalle des Sicherheitsgurts gegen meinen Oberschenkel drückte. Ich fühlte mich komisch. Deshalb musste ich daran denken, wie es war, als mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass ich einen Körper habe. Damals war ich – wie alt? Auf jeden Fall noch keine vier Jahre. Kinder dürfen nämlich hierzulande ab vier in die Vorschule gehen.
    Ich saß auf dem Fußboden, und hoch über mir zeterte Mins Stimme: »Nein! Nein, das geht nicht. Sie lassen dich nicht rein.
Du kannst erst gehen, wenn du vier bist.« In dem Moment nahm ich mich selbst das erste Mal körperlich wahr.
    Ich war auf einen Stuhl geklettert, um die neue Schultasche aus dem Schrank zu holen. Dann hatte ich meine Jacke vom Haken genommen, und jetzt hockte ich auf dem Boden, die Jacke um die Schultern gelegt, weil ich es nicht allein geschafft hatte, die Arme in die Ärmel zu stecken. Ich saß auf meiner Schultasche, damit niemand sie mir wegnehmen konnte. Und obwohl ich wegen Min so aufgebracht war, spürte ich auf einmal ganz genau den Fußboden – er fühlte sich an der Rückseite meiner Beine ganz glatt an, während ich jetzt mit den Fersen darauf trommelte. Und er wirkte so flach unter meinem runden Hinterteil. Mein Protestgeschrei schien über die Dielen zu hüpfen.
    Min ging weg und ließ mich einfach sitzen. Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Auch das nahm ich wahr.
    Alles, was ich damals begriff, kam von meinem Körper.
    Eine andere Situation: Eine Nachbarin musste Min gesagt haben, warmes Olivenöl sei gut gegen Ohrenschmerzen. Vielleicht war die Frau sogar zu uns gekommen und hatte Min ein kleines Fläschchen Goodall’s Medicinal Oil of Olives gebracht. Meine Tante kniete auf dem Teppich vor dem Herd, legte mich über ihre kräftigen Beine und träufelte mir warmes Öl ins Ohr. Sie ging ganz, ganz behutsam vor, was nicht oft vorkam. Dann legte sie ein Handtuch auf mein Ohr und drehte mich auf die andere Seite, damit sie das zweite Ohr behandeln konnte. Gemeinsam mit mir wartete sie darauf, dass das Ohrenschmalz aufgeweicht wurde – das war es, wovon man sich Linderung erhoffte. Bei der ganzen Aktion wurde mein Gesicht gegen ihren Bauch gedrückt. Das gefiel mir. Und tatsächlich ließen die Schmerzen nach, aber niemand konnte sagen, woran das lag – ob es von dem erhitzten Öl kam oder weil es mitten in der Nacht war und Min sich nicht beeilen
musste. Vielleicht war das Wichtigste ja auch die beruhigende Wärme des Feuers, die mir bis heute in Erinnerung geblieben ist.
    An Mins Verhalten merkte ich immer ganz genau, ob sie gerade gut auf mich zu sprechen war oder nicht. Ich spürte es körperlich. Entscheidend waren dabei nicht nur ihre Berührungen, sondern auch ihre Art zu atmen, das Tempo, in dem sie sich bewegte, die Leichtigkeit oder Schwere ihrer Stimme. Das waren lauter Zeichen für mich.
    Wie erfährt man etwas über andere Menschen, wenn nicht körperlich? Dass der Körper das Entscheidende war, schien mir schon immer so sonnenklar, dass ich gar nicht weiter darüber nachdachte. Und selbstverständlich ging ich mit Dan ins Gresham Hotel. Ich hatte gespürt, dass er mich beim Joyce-Symposium Tag für Tag mit ernster Miene beobachtete, während ich am Büchertisch der Buchhandlung Boody im Gang vor dem Old Physics Theatre im Newman House stand und verkaufte. Die Örtlichkeiten hatten eine besondere Bedeutung, weil Stephen Dedalus hier mit dem Dean of Studies sein denkwürdiges Gespräch über Ästhetik führte.
    Die stets höflich lächelnden Teilnehmer des Symposiums quollen viermal am Tag aus dem Saal und drängten sich dann um meinen Tisch. Dan hielt sich immer im Hintergrund. Er war groß und blond. Und jung, im Vergleich zu den anderen. Er grinste jedes Mal, wenn ich mit gesenkten Wimpern seinen Blick erwiderte. So was konnte ich gut. Ich war einundzwanzig und übte seit Jahren, wie ich den Jungs auf der anderen Seite der Tanzfläche mit Blicken signalisieren konnte,

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