Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Wochenende miteinander ausgehalten. Ich war schon am ersten Abend wieder abgereist.
Nein, denk nicht an Macerata, wenn du müde und empfindlich bist.
Denk an die wunderbaren Jahre, als er vor Erregung kaum sprechen konnte, wenn ihr euch getroffen habt. Genau wie du. Als er nichts trinken konnte, weil seine Hand so zitterte, wenn er nach der langen Trennung wieder in deiner Nähe war, dass er kein Glas halten konnte.
Endlich durfte ich ins Bett. Vorher duschte ich noch und machte mir ein Thunfischsandwich, das ich, auf dem Kaminvorleger sitzend, im Schein des Feuers aß. Ich konnte nicht geradeaus denken, und meine Gefühle waren wie erstarrt, aber ich konnte mich deutlich daran erinnern, wie lebendig ich mich
immer gefühlt hatte, wenn ich mit jemandem schlief. Alles andere im Leben schien im Vergleich dazu bedeutungslos. Durch die Liebe wurde die Zeit wertvoll. Sie war der einzige Zeitvertreib, der sich wirklich lohnte. Allerhöchstens die Lektüre von Proust konnte da noch mithalten.
Leo war auf mich zugekommen, zwei Gläser mit eisgekühltem Sekt in der Hand. Eine große, elegante Gestalt. Es war während einer Konzertpause bei den Bregenzer Festspielen. Ich war aus Straßburg hergefahren und war mir nicht sicher, ob ich genug Energie haben würde, um mich in der Hitze an der Bar anzustellen.
»Sie sehen aus, als hätten Sie Durst«, sagte er. »Darf ich? Ein Glas für Sie und eins für mich.«
Wie der Held in einem Liebesroman.
Am Anfang war ich ganz unverkrampft in seiner Gegenwart. Ich wusste, was gespielt wurde: Ein gepflegter Mann in einem gut geschnittenen Anzug und mit einer teuren Armbanduhr am schmalen, olivbraunen Handgelenk interessierte sich normalerweise nicht für eine Frau über vierzig, die einen kleinen Bauch und weiche, mütterliche Brüste hatte und ein unspektakuläres Kleid trug. Die Leute, die auf ihn zukamen, um irgendetwas über das Konzert zu sagen, verhielten sich sehr unterwürfig ihm gegenüber – und er antwortete ihnen kurz und knapp, in verschiedenen Sprachen. Mich ignorierten sie alle miteinander, was ich nicht weiter verwunderlich fand. Als Leo mich zu meiner Pension begleitete, den von Linden gesäumten Weg am Bodensee entlang, stellte sich heraus, dass er Musikkritiken für eine Züricher Zeitug schrieb und dass er außerdem ein Biografie von Johannes Brahms verfasst hatte. Inzwischen war mein Mund vor lauter Aufregung ganz trocken, und ich schaffte es nicht mehr, etwas zu sagen, was ich in den ersten unbefangenen Minuten noch mühelos über die Lippen gebracht hätte – nämlich dass ich
früher, wenn ich Babysitter spielte, für die Kinder zum Einschlafen immer »Guten Abend, gut’ Nacht« von Brahms gesummt hatte, allerdings meistens ohne Erfolg.
In den neun Jahren, die seither vergangen waren, hatte ich mich an vielen verschiedenen Orten in Europa mit Leo getroffen – immer in der Nähe eines Flughafens. Und wenn ich etwas Zeit und Geld übrig hatte, dann war ich an manche dieser Treffpunkte später noch einmal allein zurückgekehrt. Zum Beispiel in das Hotel am Bodensee. Ich bestand darauf, dass man mir das Zimmer über der Eingangstür gab. Dort waren nämlich die Fenster so niedrig, dass ich, wenn ich im Bett lag, das Gefühl hatte, mein Kopfkissen befände sich auf gleicher Höhe mit der silbernen Oberfläche des Sees. Wie zauberhaft an jenem Abend, an dem ich ihn kennenlernte, das Mondlicht gewesen war! Und diese Stille! Man hatte nur das schläfrige Glucksen und Kollern der Wasserhühner und der übrigen Seevögel gehört, die einen kurzen Moment aufwachten und sich dann wieder auf dem Wasser in den Schlaf schaukelten. Die ganze Nacht hatte ich wach gelegen, bis der Morgen dämmerte, reglos, wie unter einem Bann, denn als Leo mir zum Abschied die Hand gab – unsere Hände waren das Einzige, was sich an jenem Abend berührte -, hatte er sich zu mir heruntergebeugt und geflüstert: »Wir werden uns wiederfinden.«
Ungefähr ein Jahr später mietete ich mir in den Sanddünen bei Ostende ein winziges Holzhaus. Es hatte eine knallrote Tür und war umgeben von einem Lattenzaun. Damals arbeitete Leo in Amsterdam an einem Artikel über das Concertgebouw-Orchester, und ich hatte einen Job in Brüssel. An vier Wochenenden kam er zu mir. Ich hatte immer noch nichts dazugelernt. Ich dachte: Vier Wochenenden – da muss er mich doch lieben! Ganz bestimmt verlässt er jetzt seine Familie! Ich nehme ihn mit nach Hause, nach Kilbride! Tessa und Peg werden
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