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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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schmutziger. Gestank wehte ihnen entgegen, er kam von einer Gerberei, in der immer noch gearbeitet wurde. An mehreren Wänden waren Pappschilder mit der Aufschrift Schlafstelle zu vermieten angebracht. Die Klos der Häuser befanden sich auf den Höfen.
    „Hier?“, fragte Hendrik betroffen.
    „So etwas bekommst du in deiner feinen Universitätswelt nicht zu sehen, möchte ich wetten.“
    Sie betraten den Seitenflügel des vierten Hinterhofes und stiegen eine ausgetretene Treppe hinauf. Jede Stufe ächzte, gleichgültig, wie vorsichtig man auftrat. Die Wand war mit Schimmelpilzen bedeckt. Es stank nach einer Mischung undefinierbarer Gerüche. Aus einer Wohnung drang hitziger Streit, von dem jedes Wort zu verstehen war. Viele Geheimnisse konnten die Menschen, die hier zusammengepfercht waren, nicht voreinander haben.
    Vor einer schäbigen Tür, deren Farbe, wenn sie je eine besessen hatte, schon vor Jahren abgeblättert war, hielten sie an. Geklapper und Gemurmel waren dahinter zu hören. Ein einfaches Stück Papier ersetzte das Namensschild. Gregor klopfte vernehmlich.
    Ein Stuhl wurde gerückt, dann öffnete ein kräftiger Mann die Tür und starrte sie feindselig an, sobald er bemerkte, dass es sich um Fremde handelte. „Ja?“
    „Sind Sie Curt Broscheck?“
    „Wer will’n das wissen?“
    Gregor hielt ihm seine Dienstmarke aus Messing hin, die ihn als Mitglied der Kriminalpolizei auswies. „Dürfen wir reinkommen?“
    Widerstrebend öffnete der Arbeiter die Tür. An dem mürrischen Mann vorbei zwängten sich die Brüder in das schummrige Halbdunkel einer Wohnung, die lediglich aus einem Zimmer und einer Küche bestand.
    Auch hier gedieh überall Schwamm an den Wänden, und der Putz war vielfach abgefallen. Schadhafte Stellen waren einfach mit Papier verklebt worden. Essensdünste von Wochen hatten sich im Raum angesammelt, ein muffiger Geruch hing über den Möbeln, zumal die Fenster mit Lappen verstopft und mit Pappe vernagelt worden waren, vermutlich wegen der Zugluft.
    Eine Leine, auf der Wäsche zum Trocknen hing, spannte sich quer durch die Stube. Der Waschkorb quoll über von allen möglichen Dingen, nur nicht von Wäsche. In den Ecken des Zimmers stapelten sich Lumpen und Abfälle aller Art, Kartoffeln und gesammelte Tannenzapfen. Ein mageres Huhn und zwei Kaninchen liefen dazwischen umher. Alles war auf irgendeine Weise zugehängt oder zugestellt, es gab keinen Fußbreit freien Boden.
    Ein Titelblatt der Zeitschrift Jugend , das zwei elfengleich unter einem Baum tanzende Frauen in blütenweißen Kleidern zeigte, hing an einer Wand und war das einzige Zeugnis dafür, dass die Bewohner sich einen Sinn für das Schöne bewahrt und noch nicht alle Hoffnung auf ein besseres Leben begraben hatten.
    In der Küche sah es ähnlich aus. Decke und Wände waren verräuchert, der klebrige Fußboden schwarz vor lauter Schmutz. Ein Sinnspruch (Eigener Herd ist Goldes wert), zwei farbige Kalenderblätter und eine Ansichtskarte stellten den ganzen Schmuck dieses Raumes dar. Ein aus Mauersteinen zusammengesetzter Ofen diente zum Kochen und war zugleich die einzige Heizmöglichkeit, darauf standen billige Kannen und Töpfe und eine Pfanne. Auf dem wackeligen Tisch, dem Zeitungspapier als Tischtuch diente, stapelten sich schmutziges Geschirr, teilweise gesprungen, und Essensreste. Ein winziges Waschbecken mit einem Hahn darüber stellte die einzige Waschgelegenheit dar. Unter dem Becken stand ein Eimer mit einer eklig aussehenden Flüssigkeit, vermutlich mit heißem Wasser übergossene Holzasche, bei der anhaltenden Seifenknappheit ein weit verbreiteter Reinigungsmittelersatz. Eine Petroleumlampe, die über dem Küchentisch hing, war die einzige Lichtquelle.
    Schmutz, Enge und Dunkelheit, so ließen sich die Wohnverhältnisse zusammenfassen. Allein der Anblick der Räume bereitete Hendrik Atemnot.
    Fünf Personen drängten sich in der nicht einmal zwanzig Quadratmeter großen Wohnung zusammen. Auf einem Strohsack im einzigen Bett, zugedeckt mit zwei durchlöcherten Decken, lag ein alter Mann, der immerfort hustete und nach Luft rang. Wie die Brüder später erfuhren, handelte es sich um Curt Broschecks Vater. Er litt an Tuberkulose – bei dem Bakterienstaub kein Wunder – und hatte offensichtlich Fieber. Hendrik war schockiert, dass der Mann keine ärztliche Betreuung erhielt. Da außer diesem Bett nur noch eine durchgesessene Couch vorhanden war, stand zudem zu vermuten, dass mindestens eine weitere Person die

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